Veritas
Brust.
Schließlich ließ sie sich überreden, wenigstens ein nicht ganz so gefährliches Verfahren zu versuchen: das rasche Eintauchen des Papiers in Wasser. Sie wollte freilich bei dem Experiment nicht zugegen sein, da ihr vor den Folgen graute. So kehrte sie in unsere Gemächer zurück, wo sie über den Schlaf Abbé Melanis wachen und sich mit dem Kleinen beschäftigen wollte.
Glücklicherweise bestand das Blatt des Agas aus dem besten und stärksten Papier, jenes, das man für Botschaften verwendet, die von Kurieren durch Regen, Schnee, Flüsse oder Seen getragen werden müssen. Es war eigens gefertigt, um den Wetterunbilden während der Reise zu trotzen, und ich war zuversichtlich, dass es standhalten würde. Als wäre es eine heilige Zeremonie, brachte Simonis eine Schüssel mit Wasser, während Opalinski ein blütenreines Tuch ausbreitete, darauf wir das Blatt des Agas legen würden. Mit Herzklopfen tauchte ich das Papier einen Augenblick lang in die Schüssel, wobei ich natürlich darauf achtete, den Teil mit dem Satz des Agas nicht zu benetzen, weil ich fürchtete, die Tinte könne zerfließen.
Nichts geschah, doch das Papier hatte die Probe zum Glück einigermaßen überstanden. Wir warteten nun darauf, dass es trocknete, und rückten ein kleines Glutbecken in seine Nähe. Darauf versuchten wir, mit der Flamme eines Kerzenstummels etwaige verborgene Schriften sichtbar zu machen. Nichts. Da die Methode des Versengens aus naheliegenden Gründen ausscheiden musste, fand ich mich damit ab, die übrigen Methoden zu erproben. Also trug ich Simonis auf, eine Liste mit den nötigen Zutaten zu schreiben: Vitriolöl, Kolben, flaumigen Aluminit et coetera et coetera . Die Liste gab ich Penicek.
«Hier hast du Geld», sagte ich. «Fahr mit deiner Kutsche zu der Spezerei Zum Rothen Crebs beim Hohen Markt und lass dir alles geben.»
«Wirklich schade, dass der gute Koloman Szupán nicht bei uns ist», seufzte Penicek, während er die Liste durch seine kleine Brille studierte, «er wüsste, wie man mit diesem ganzen Zeug das Blatt des Agas zum Reden bringt.»
«Ich würde wirklich gerne wissen, wo er steckt», sagte Simonis.
«Vielleicht …», wagte der Pennal sich schüchtern vor, «hat Opalinski eine Idee …»
«Ich wüsste wahrhaftig nicht, wo ich mit der Suche beginnen sollte», beschied ihn dieser.
«Schade», wiederholte Penicek. «Möglicherweise versteckt Koloman sich, aus Angst. Nachdem sie Dragomir auf so schreckliche Weise erledigt haben …»
Opalinski senkte die Augen.
«Wenn er aus Angst verschwunden ist», überlegte der Böhme, während er sich auf seinem lahmen Bein zur Tür schleppte, «würde es ihn sicher beruhigen zu erfahren, dass der Derwisch in Wirklichkeit niemandes Kopf haben will. Wirklich schade, dass man es ihm nicht sagen kann.»
«Heute Abend mache ich eine Runde und versuche, ihn in einer der Spelunken aufzustöbern», versprach Jan Janitzki.
«Heute Abend ist es zu spät», beharrte Penicek. «Der Herr Schorist hat recht: Dies ist unsere Gelegenheit, endlich herauszufinden, ob sich hinter dem Satz des Agas etwas verbirgt oder nicht. Der Herr Schorist sagt vollkommen richtig: Wenn wir auch auf diesem Papier nichts finden, bedeutet das, dass die Hohe Pforte mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hat. Und dann hätten wir – wie der Herr Schorist so treffend sagt – endlich den Beweis, dass Danilo, Hristo und Dragomir nicht wegen des Goldenen Apfels kaltgemacht worden sind.»
«Bravo, Pennal! Unglaublich, es gibt tatsächlich einen Funken Intelligenz in deinem viehischen Hirn!», rief Simonis aus, erfreut über das ihm gezollte Lob.
«Wenn Koloman sich aber versteckt hat», gab ich zu bedenken, «riskieren wir, umsonst in der Stadt herumzufahren …»
«Er ist im Haimböck.»
Opalinski wusste, wo der Ungar zu finden war. Koloman hatte sich seinem Freund anvertraut. Er war im Dachboden eines Buschenschanks in der Vorstadt Ottakring versteckt, der Zum Haimböck hieß.
Penicek hatte richtig vermutet. Nach dem Tod Populescus hatte Szupán Angst. Also war er untergetaucht und hatte Jan schwören lassen, dass er sein Versteck keiner Menschenseele verraten würde.
Jetzt hatte der Pole es dennoch preisgegeben. Ging es doch darum, Koloman die jüngsten Neuigkeiten über den Derwisch mitzuteilen und sich gleichzeitig von ihm beim Entziffern des Papiers der Türken helfen zu lassen. Opalinski schien indessen schon zu bereuen, dass er sich das Geheimnis hatte entreißen lassen,
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