Veritas
Kaisers Augustus von Rom unterjocht wurde und für seine fortwährenden Aufstände berühmt war. Nun gab es in Pannonien ein Volk, das an den Ufern des morastigen Flusses Maeotia lebte. Es war so wild und ungeschlacht, und sein Verkehr untereinander entbehrte so gänzlich aller Merkmale menschlicher Zivilisation, dass jene Wesen, als sie sich endlich mit artikulierten Lauten zu verständigen lernten, eine Art Grunzen hervorbrachten, bei welchem jeder Laut auf unum zu endigen schien, daher sie Hunnen und später Ungarn genannt wurden.
«Da fällt mir ein», wandte Jan sich an meinen Gesellen, «weißt du eigentlich, wo Koloman steckt?»
«Nein.»
«Er wurde nicht mehr gesehen», bemerkte Penicek. «Schade. Ausgerechnet er, der den Kniff des Balamber kennt.»
«Was soll das sein?», fragten wir wieder im Chor.
Die Hunnen, erklärte der Böhme, derweil er die Augäpfel nach oben verdrehte, als kramte er in seinem Gedächtnis, lebten bis zum Jahr des Heils 370 von allem und allen isoliert. Damals wurde die Kirche Christi vom Papst Damasus regiert, das Römische Reich vom Kaiser Valens, und der König des nahen Reichs der Schiiten war Balamber. Auf der Jagd nach einem Hirsch wurde Balamber von dem flüchtigen Tier aus seiner Heimatgegend bis in die maetoischen Sümpfe gelockt, die zu der Zeit vereist waren. Balamber wusste es nicht, aber er war der erste Fremde, der jemals nach Ungarn gekommen war. Über der Betrachtung des Panoramas vergaß Balamber den Hirsch und begann, die unbekannten Landstriche, die sich vor ihm erstreckten, zu erforschen. Zurück in seiner Heimat, berichtete er begeistert und voll des Lobes über dieses Land, sodass der Wunsch, es in Besitz zu nehmen, sich verbreitete und so stark wurde, dass die ungarischen Lande alsbald von einer großen Invasion heimgesucht wurden: Balamber überschritt den Tanais, unterwarf Chersonesos, das zu Tauris gehörte, und die Goten, welche es besetzt hatten. Nachdem er sich mit den Alanen verbündet hatte, drang er bis in die Provinzen Mösien und Dazien vor.
«Niemand konnte ihn aufhalten. Seinen Boten gab er weiße Papiere, aus denen nur seine Verbündeten die Botschaften des schiitischen Königs zum Vorschein bringen konnten.»
Doch während seiner Eroberungszüge durch diese Gegenden starb Balamber, und zu seinem Nachfolger wurde Mundzuk ernannt, ein Hauptmann aus demselben Volk. Mundzuk eroberte schließlich die Länder Ungarns; seine Söhne waren Attila und Bleda.
«Bleda lebte nicht lang: Attila, ein übler Charakter, mordete ihn schon bald. Wegen seiner Grausamkeit wurde er die Geißel Gottes genannt. Doch er hatte das Geheimnis seines Großvaters Balamber geerbt, und diesem – nicht seiner Kraft – hatte er es zu verdanken, dass er mit hunderttausend Männern unbehelligt in Italien einfallen und es mit Feuer und Schwert verheeren konnte. Dann aber gründete er das schöne, erhabene Venedig, nicht zufällig die Hauptstadt der Spionage. Man sagt, dass die Dogen sich das Geheimnis Balambers weitergeben, das Attila ihnen hinterließ. Wir wissen ja alle von den dunklen Geschäften, welche die Serenissima mit der Osmanischen Hohen Pforte betreibt.»
Penicek hatte recht. Denn nun entsann ich mich dessen, was Abbé Melani mir vor achtundzwanzig Jahren gesagt hatte: Als der Papst das gesamte Europa aufrief, Wien gegen die Türken zu verteidigen, zog sich außer Frankreich nur eine einzige Macht zurück: Venedig.
«Dann könnte dieses Blatt also eine geheime Botschaft enthalten, die mit Hilfe von Balambers Kunstgriff geschrieben wurde!», rief ich aus.
«Höchstwahrscheinlich», bestätigte der Pennal, «und in diesem Fall ist Koloman unsere letzte Rettung.»
«Erst einmal lesen wir weiter», schlug Opalinski vor, zu den Rezepten des Doktor Abelius zurückkehrend. «Vielleicht finden wir Methoden, die weniger geheim sind.»
«Einverstanden», pflichtete ihm Simonis bei, «und wenn das nicht hilft, suchen wir Koloman.»
Wollte man geschriebene Schrift wieder auslöschen, fuhr das Handbuch fort, benutzten manche Zitronensaft, Spiritu vini und Sal Armoniacum . Gebe man dann aber Alumine plumoso darauf, welcher im Kolben destilliert werden müsse, erscheine die Schrift wieder. Natürlich war die ärmliche Kammer meines Gehilfen alles andere als ein alchemistisches Labor, wir hatten keinen Alumine plumoso und nicht einmal einen einfachen Destillierkolben zur Hand.
«Halt, vielleicht hab ich es gefunden!», rief Simonis aus. «Hier geht es darum, mit ganzen
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