Veritas
denn seine Miene war finster geworden.
«Los, gehen wir», drängte ich ungeduldig.
«Wenn ich mir erlauben darf … Ist es nicht besser, wenn ich erst einmal zur Spezerei fahre, um die Remedia zu besorgen, bevor der Laden schließt?», schlug der Böhme vor. «Ich komme zurück, nehme euch mit, und wir fahren alle zu Koloman.»
«Wenn wir sofort alle gemeinsam aufbrechen, geht es schneller», hielt ich dagegen. «Sobald wir bei Koloman sind, werden wir das Experiment mit seiner Hilfe durchführen.»
«Der Herr Meister möge mir, wenn ich es wagen darf, einen Einwand gestatten», setzte Penicek schüchtern an. «Dünkt es den Herrn Meister nicht gefährlich, das Blatt des Agas aus den verschwiegenen Mauern dieses Konvents herauszubefördern und ein so heikles Beweisstück an einen öffentlichen Ort mitzunehmen?»
«Donnerwetter, daran hatte ich gar nicht gedacht», gestand ich. «Ich muss wohl sehr müde sein. Du hast recht: Wir sollten Szupán abholen und hierherbringen.»
«Wenn man es recht bedenkt», mischte sich Opalinski ein, «könnte es Stunden dauern, bis wir Koloman überredet haben, uns zu helfen. Und ich sage es noch einmal: Obwohl wir sehr eng befreundet sind, hat er mir niemals von Balamber, Attila, chiffrierten Botschaften und dergleichen erzählt. Wenn er nicht einwilligt, riskieren wir, dass uns keine Zeit mehr bleibt, das Experiment allein durchzuführen.»
Nach weiteren Diskussionen beschlossen wir, es zunächst ohne Koloman zu versuchen. Opalinskis Miene hellte sich auf: Wenn der Versuch gelang, würde sein ungarischer Freund niemals erfahren, dass er uns sein Versteck verraten hatte. Also schickten wir den Pennal zur Spezerei.
«Und beeile dich!», knurrte der Grieche, worauf der arme Schleppfuß zusammenzuckte.
Der böhmische Student kehrte erst nach über einer Stunde zurück, keuchend und erhitzt wegen der eiligen Fahrt und eines langen Disputs mit dem Spezial, welcher ihm einige potenziell giftige Präparate nicht verkaufen wollte, tausend Fragen gestellt hatte und ihn schließlich lange auf die umständliche galenische Zubereitung der Remedia hatte warten lassen.
Alsbald schon verwandelte sich das Zimmer meines Gehilfen in eine Alchemistenküche, wo ein Kessel über dem Kamin hing, darin allerlei Destillierkolben dampften und schäumten, während die Luft sich mit stechenden Gerüchen sättigte.
«Verflucht!», schnaubte Simonis ärgerlich.
Das einzige Resultat, das wir mit dem ganzen Aufwand erzielten, war, dass das Papier jetzt unerfreuliche Wellen und verkohlte Ränder aufwies.
«Wir können es unmöglich in diesem Zustand wieder in das Diarium des Prinzen Eugen legen!», rief ich untröstlich aus. «Wenn Cloridia das sieht, bin ich erledigt.»
Es war bereits zwei Uhr nachmittags. Seit fast drei Stunden destillierten wir uns schier die eigene Hirnmasse mit unserem Gegrübel über dieses Blatt, das durchaus nicht willens war, seine Geheimnisse preiszugeben, wenn es denn welche gab. Zu Opalinskis großem Bedauern blieb uns jetzt wirklich nur noch Koloman Szupán.
Während der Fahrt wirkte Opalinski sehr angespannt. Vielleicht dachte er daran, was Koloman sagen würde, wenn er uns ankommen sah?
Auch ich schaute finster drein. Sollte es auch Koloman nicht gelingen, dem Papier des Agas etwas zu entlocken, wäre das einerseits eine gute Nachricht, denn wir wären von der Angst vor den Türken erlöst. Andererseits würden wir dann erneut völlig im Dunkeln tappen: Drei Studenten waren einer nach dem anderen gestorben, und die Mörder (oder der Mörder) hatten immer noch keinen Namen.
Ich beobachtete Simonis: Er saß mir gegenüber und verfolgte mit stumpfem Blick die Reihen der Weinberge, die zu beiden Seiten an uns vorüberzogen. Bevor wir das Kloster verließen, hatte er sich einen kleinen Sack um die Schulter gehängt, den er jetzt versonnen glättete, wahrscheinlich in ebenso trübe Gedanken versunken wie ich.
«Warum hat Koloman sich ausgerechnet im Haimböck versteckt?», fragte ich Janitzki.
«Ein italienischer Mönch hat ihn dorthin gebracht. Koloman hatte eigentlich um Zuflucht im Kloster gebeten, doch dort haben sie ihn nicht gewollt.»
«Hatte euer Kamerad sich nicht auch schon an einen italienischen Mönch gewandt, um etwas über den Goldenen Apfel zu erfahren?», fragte ich zurück.
«Daran erinnere ich mich auch», bestätigte Simonis, «es war ein Augustiner, der den türkischen Kriegsgefangenen, die konvertieren wollten, die Beichte abnahm.»
«Ja, das
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