Veritas
schwachen Licht seiner Kerze.
Außer der Dunkelheit, welche die Säle der Hofburg erfüllte, entsinne ich mich nur einer Reihe von Fluren, Treppen und wieder Fluren. Schließlich ein großes Vorzimmer, dann noch eines. Ein stummes, wattegleiches Hin und Her von Lakaien, Medizi und Priestern. Anspannung, gesenkte Blicke, das Gefühl ohnmächtigen Wartens. Ich sah eine Dame, unter einem Schleier halb verborgen, begleitet von zwei Hoffräulein und auf jemandes Arm gestützt. Von verhaltenen Schluchzern geschüttelt, entfernte sie sich, dann hörte ich rufen: «Herr Graf von Paar.» War das die Kaiserin? Ich wagte nicht zu fragen. Wir wurden eilig durchgelassen, diskret, aber ohne Umstände. Die gesamte Dienerschaft schien Camilla zu kennen.
Schließlich öffnete sich auch die letzte große Tür, und wir traten ein.
Die Chormeisterin sprach mit gedämpfter, ruhiger Stimme. Im Licht eines hinter seinem Kopf stehenden Kandelabers zeichnete sich das Profil des Kranken ab, und ich sah, wie er im keuchenden Rhythmus des Todeskampfes atmete.
Als Camilla an das Bett getreten war, hatte niemand gewagt, ihr zur Vorsicht zu raten. Nur Joseph hatte sich zu der Neuangekommenen hingewandt, doch ihm fehlte die Kraft, ihre Begrüßung zu erwidern.
Die Schar der Medizi musste sich in den Hintergrund des Zimmers zurückziehen, ebenso der Beichtvater, welcher den Kelch mit dem Allerheiligsten Sakrament an die Brust gedrückt hielt, aus dem Ihre Kaiserliche Majestät die Kommunion empfangen hatte. Im hintersten Winkel wartete auch der Apostolische Protonotar, in der Hand noch das Öl der Letzten Heiligen Ölung, welche er soeben in Gegenwart des Päpstlichen Nuntius gespendet hatte. Es war jener Nuntius, für den Camilla bis jetzt an ihrem Heiligen Alexius gearbeitet hatte und der nun wider Erwarten dem sterbenden Kaiser den letzten Segen des Papstes erteilen musste.
Jetzt sprach Camilla Joseph I. flüsternd ins Ohr, er hörte nur zu. Ringsumher war es, als hielte der ganze Raum den Atem an. Camilla konnte sich mit der tödlichen Krankheit anstecken, doch sie kniete zu Füßen des Bettes wie vor der Wiege eines Kindes. Dann erhob sie sich, und mir schien (ich kann es nicht beschwören, wegen des Halbdunkels, in das alles gehüllt war), dass sie es wagte, das Haupt Josephs des Sieghaften zu liebkosen.
Ich ahnte, dass ich nie erfahren würde, was sie ihm gesagt hatte. Ich sollte recht behalten.
10.15 Uhr
Da fühlt Roland , dass er dem Tode nahe ,
Durch seine Ohren drängt sich das Gehirn .
Da fühlt Roland , dass ihm die Sehkraft schwindet ,
Zusammenrafft er sich und stellt sich auf ,
Vergangen ist die Farbe seiner Wangen .
Da fühlt Roland , dass der Tod ihn bewältigt ,
Vom Haupte steigt er nieder ihm zu Herzen .
Da fühlt Roland , dass seine Zeit vorbei ist ,
Und mit der einen Hand schlug er die Brust .
Den rechten Handschuh reicht er Gott empor ,
Sankt Gabriel nahm ihn aus seiner Hand .
Auf seinen Arm hält er das Haupt geneigt ,
Sein Ende fand er mit geschlossnen Händen .
Es war zu Ende. Ihre Kaiserliche Majestät, Nachfolger Karls des Großen auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches, hatte dem Erzengel seinen Handschuh überreicht und seine Seele dem Allerhöchsten befohlen. Sein Leiden war endlich ausgestanden. Das Fieber hatte ihn mit glühender Lohe ausgezehrt, die Schmerzen bis zur Ohnmacht geschwächt, das Erbrechen hatte ihm die Eingeweide gefurcht wie die harte Bürste des Kardierers. Dann hatte das Übel ihn entfleischt, verschlungen, von innen zerquetscht.
Joseph der Sieghafte starb wie der Paladin Roland, der bei der Niederlage in Roncesvalles von den Ungläubigen besiegt wurde.
Er war die ganze Zeit über bei klarem Verstande gewesen. Kurz vor zehn Uhr hatte er genug Kraft gefunden, seinen Ober-Hof-Cappellan mit dem Geweihten Lichte kommen zu lassen, und hatte als guter Christ die Hände daraufgelegt. Der Cappellan hielt, vor dem Bett kniend, das Licht und stützte Joseph die Hände, die zu schwach waren, sich allein um die Kerze zu legen. So hatte Ihre Majestät, gierig in die Flamme blickend, das Sterbegebet des Beichtvaters gehört, welcher schließlich unter der seelischen Pein zusammenbrach und der Hilfe bedurfte.
In den letzten Augenblicken hatte Ihre Majestät sich unter einer gewaltigen Konvulsion aufgebäumt: Augen und Ohren hatten schwarzes Blut gespien, aus der Nase waren Schleim und Teile des Gehirns ausgetreten; Lederhaut, Gewebe, Gefäße, Kapillaren und Lymphkanäle waren
Weitere Kostenlose Bücher