Veritas
war, «der einzige Mann, der allein auf Erden ist.»
Also hob ich die Fäuste zum Himmel und befahl: Er möge sich verfinstern, der Mond und die blutrote Sonne sollten innehalten auf ihrer Bahn, die Frauen ihr Gesicht bedecken. Man hebe alle Bankette auf, jeder Mund verstumme, alles verriegele sich im Haus. Es ist zu Ende! Der Kaiser ist nicht mehr. Tod und Unrecht haben ihren bösen Sieg davongetragen.
Einzig das Echo meines Irrsinns, nichts anderes als dieser eine Ton, erreichte mich nun aus der verheerten Schöpfung: eine traurige Fanfare, mit der nicht nur meine Toten, sondern auch die unzähligen Soldaten, die in diesem Krieg, dem Krieg ohne Ende, gestorben waren, starben und sterben würden und mich anklagten, weil ich noch lebte. Wofür seid ihr gestorben? Ach, hättet ihr in dem Moment, da ihr euch geopfert habt, doch vom Profit des Krieges gewusst, der trotz, nein, der durch euer Opfer wächst und sich an ihm mästet! Ihr alle, Sieger und Besiegte, habt den Krieg verloren. Gewonnen haben ihn eure Mörder, die Schacherer mit Fleisch, Zucker, Alkohol, Mehl, Gummi, Wolle, Eisen, Tinte und Waffen, die hundertmal entschädigt wurden für die Entwertung des Menschenlebens. Darum seid ihr verfault und werdet noch Jahrhundert über Jahrhundert, Generation für Generation im Schlamm und im Wasser verfaulen. Ihr werdet so lange am Leben bleiben, bis sie genug gestohlen, genug gelogen, die Menschheit ausgesaugt haben. Dann weg damit! Der Nächste trete vor, unter das Beil des Henkers. Bis Aschermittwoch, bis zur Fastenzeit werden sie diesen großen tragischen Karneval tanzen, wo Menschen unter dem kalten Blick von Leuten wie Palatino sterben und die Schlächter zu Philosophen honoris causa gemacht werden.
Und ihr, die Geopferten, noch immer seid ihr nicht aufgestanden, und nie werdet ihr euch gegen diesen Plan erheben! Ja, ihr da unten, ihr Gemordeten, ihr Betrogenen! Stets noch habt ihr die Freiheit und den Wohlstand der Strategen, der Parasiten und Hanswürste ertragen und werdet sie weiterhin genauso dulden wie euer Unglück, eure Unfreiheit. Sie haben eure Haut zu Markte getragen, und immer wieder werden sie euch und uns verkaufen. Heda, ihr Toten! Warum steht ihr nicht aus euren Gräbern auf? Warum fordert ihr nicht Rechenschaft von diesem Gesindel und tretet vor sie hin mit dem verzerrten Antlitz, das ihr im Tode hattet, mit der grausigen Maske, zu der eure Jugend von der Herrschaft dieses teuflischen Wahns verdammt wurde? Erhebet euch und geht ihnen entgegen, stört ihren Schlaf mit dem Schrei eures Todeskampfes! Sie waren fähig, in der Nacht nach dem Tage, da sie euch vernichteten, ihre Frauen zu umarmen. Rettet uns vor ihnen, vor einem Frieden, der uns die Seuchengefahr ihrer Nähe bringt.
Helft, ihr Gemeuchelten! Helft mir! Damit ich nicht unter Menschen leben muss, die Order gaben, dass Herzen aufhörten zu schlagen, dass Mütter über den Gräbern ihrer Kinder ergrauten. So wahr, wie Gott ist – nur ein Wunder kann diese Barbarei beenden. Also erwacht aus eurer Erstarrung, kommt her! Damit zukünftige Zeiten euch anhören!
Doch wenn es wahr wäre, wie Atto sagt, dass die Zeiten nicht mehr hören, würde dann ein Wesen hören, das über diesen Zeiten ist? Mein Jesus, ich bitte dich: Diese Tragödie aus Szenen der sich zersetzenden Menschheit, ich bitte dich, schneide sie in mein Fleisch, wie du es mit deinem Fleische tatest, damit der Heilige Geist sie höre, auch wenn er es für immer aufgab, sich einem menschlichen Ohr zu nähern. Möge Er den Grundton dieser Epoche vernehmen. Möge Er das Echo meines blutigen Wahnsinns, das mich mitverantwortlich macht für diesen Lärm, als Buße gelten lassen.
Buße, Buße. Nur dieses eine Wort wiederholte ich. Halbnackt war ich inzwischen und hatte nichts mehr, das ich mir von der Brust reißen konnte. Also begann ich, mir die Fingernägel in die Arme zu graben, in die Schultern, den Hals, die von meinem Schrei ausgehöhlten Wangen, den Bauch, den Nabel, der mich ehedem mit jener nie gekannten Mutter verbunden hatte. Den ganzen Tag lang lief ich mit nackter Brust und riss mir Fetzen meines eigenen Fleisches vom Leibe, von den Ohren, um nicht mehr zu hören, von der Zunge, um nicht mehr zu sprechen, von den Lidern, um nicht mehr zu sehen, von der Nase, um nicht mehr zu atmen, und ich biss mir in die Finger, um nichts mehr zu berühren. Ich lief über Felder, an Steilwänden hinauf und durch Schluchten, und mein einziger, endloser Schrei lief mit mir über jede
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