Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
Vom Netzwerk:
explodiert wie durch tausend geräuschlose Minen. Es war keine einfache Krankheit: Das Böse selbst hatte den Körper Josephs des Sieghaften mit all seinen verruchten Künsten zerfetzt und sich an seinem Leiden gelabt.
    Als die Königinmutter, die nie von seiner Seite gewichen war, näher kam und kniend die nunmehr offenen Hände des Sohnes küsste, wussten wir alle, dass es wirklich zu Ende war.
    Ich versteckte mich nicht mehr. In meiner Pagenkleidung entfernte ich mich unbeobachtet durch die Schar der Höflinge, die dem kaiserlichen Sterben vom Vorzimmer aus zusahen.
    Ich stieg die Treppen hinab, einen erloschenen Kandelaber umklammernd, nur um etwas in der Hand zu halten. So schritt ich voran, während die Schläge meines Herzens, die in dem Augenblick ausgesetzt hatten, da mein König seinen Geist aufgab, ihren Rhythmus wieder aufnahmen, Schlag für Schlag. Schon nach wenigen Minuten pochte es wie toll, sein rasendes Klopfen durchbohrte mir die Kehle wie ein glühender, spitzer Pfeil. Das keuchende Pendel aus Fleisch und Lymphe, das mir in der Brust vibrierte, grub sich tief in meine Eingeweide hinein und kehrte dann wieder nach oben zurück, bis zu den Augen. Meine geschwollenen Lider pulsierten schmerzend, und ich stellte sie mir vor, bis zum Bersten angefüllt mit denselben eisenhaltigen Körpersäften, die ich entsetzt von den halbgeschlossenen, sterbenden Lidern meines jungen Kaisers hatte tropfen sehen, derweil seine Pupillen sich nach hinten drehten und der Himmel zu Tränen zerfloss.
    Kaum gewahrte ich, wohin mich meine Beine trugen. Ich schwankte und glaubte, nicht weit gehen zu können. Mühsam schleppte ich mich voran, bis ich in die Nähe der Bastionen kam. Da bemächtigte sich meiner urplötzlich eine neue Kraft. Ich wankte nicht mehr, meine Schenkel wurden hart und stark, das Herz klopfte wieder regelmäßig: Ich begann zu laufen. Ich lief ohne Maß und Ziel und brüllte mit all meiner Kraft. Den erloschenen Kandelaber warf ich weit weg, riss mir die Perücke vom Kopf, den Frack, das Jabot und das Hemd vom Leibe. Mit nacktem Oberkörper schrie ich mich heiser, mein Kiefer schmerzte, und ich wollte zerbersten. Doch niemand hörte mich: Ich schrie allein, und allein rannte ich und wusste gewiss, dass mir statt Tränen Blut über die Wangen lief, aber ich bekümmerte mich nicht darum, es zu trocknen, gleichgültig, ob es eine rote Spur auf dem Pflaster hinterließ. Dann sah ich, wie mein frisches, rotes Blut sich mit dem schwarzen Blut vereinigte, das aus den zerrissenen Eingeweiden des Pontevedriners Danilo Danilowitsch quoll, und mein Schrei verschmolz mit dem der vierzigtausend Märtyrer Kasims; ich sah das eiskalte, geronnene Blut des Bulgaren Hristo Hadji-Tanjov, und mein Schrei wurde zum Pfeifen des Schneesturms; und dann war da das schwarze Blut der Tekuphot, das der Alte aus dem armenischen Kaffeehaus auf uns herabbeschworen hatte, worauf es in Strömen über Attos Gesicht geflossen war, aus der Scham des Rumänen Dragomir Populescu, die abgeschnitten wurde wie das Geschlecht des Uranos, daraus Venus geboren ward; und ich sah die mit dem Blut des Ungarn Koloman Szupán aus Warasdin getränkten spitzen Pfähle und dann das Blut, das die eisernen Spieße aus den Käferaugen des stolzen Polen Jan Janitzki hatten hervorspritzen lassen; und schließlich das griechische Blut von Simonis, meinem Freund, Simonis, meinem Sohn, es war wie Blut von meinem Blute und hatte den Durst des Panthers vom Ort Ohne Namen gestillt, dessen tödliches Gebrüll mir den Brustkorb schier zerbrach, als es mit den Schreien aus meinem eigenen Inneren und dem Ruf der vierzigtausend Märtyrer verschmolz.
    Die rote Spur aus Blut, die ich zu hinterlassen meinte, war zu einer langen Bahn des Todes geworden; mit ihrer Hilfe würde Cloridia mich wiederfinden, sagte ich mir. Meine Adern kochten beim Anblick all des unschuldig vergossenen Blutes, aber sie bebten bei dem Gedanken an noch mehr Blut, das Blut des Judas, verflucht in saecula saeculorum , das während des Rituals im Wald aus den Wunden des Derwischs Ciezeber alias Palatino geströmt war, des chaldäischen oder armenischen oder indischen Verräters, der vielleicht alles gleichzeitig war. Und vor allem das Blut, das Penicek nie vergossen hatte, diese abscheuliche Pfütze Luzifers. Über all diesem Blut ging jeden Tag die Sonne auf, auch sie blutgetränkt: soli soli soli , «zur einzigen Sonne der Erde», eine bluttriefende Sonne, so wie mein junger Kaiser im Blut erstickt

Weitere Kostenlose Bücher