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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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dieser neuen Welt entgegenzutreten.
    Der erste, geheimnisvolle Steuermann des Fliegenden Schiffes, der aus Portugal gekommen war, wie die Folia, war heimlich hingerichtet worden. Das verlassene Luftschiff, das doch immer noch fliegen konnte, war das himmlische Zeichen dafür, dass überall Kräfte wüteten, die jenen Lehren zuwiderliefen.
    Und ich schwieg. Aber war das richtig?

Paris
DIE EREIGNISSE VON 1711 BIS 1713
    Die Fahrt nach Paris war überaus lang und mühselig. Wir mussten zahllose Pausen einlegen. Obwohl Domenico, Cloridia und ich, der ich wieder zu Kräften gekommen war, ihm zur Seite standen, musste Atto die ganze Zeit über in der Sänfte reisen.
    Mein Gewerbe als Rauchfangkehrer hatten wir in aller Eile an eine italienische Familie verkauft. Die Verhandlungen hatte Camilla als Vertreterin des einflussreichen Himmelpfortklosters überaus geschickt geführt – Nonnen sind bekanntlich immer schon gute Geschäftsfrauen gewesen. Den Erlös hatte ich unseren beiden Töchtern nach Rom geschickt; – es war die langersehnte Mitgift.
    Ich hätte auch den Weinberg und das Haus in der Josephina verkaufen wollen, denn die Vorstellung, dieses Besitztum für wer weiß wie lange Zeit allein zu lassen, missfiel mir. Womöglich würde jemand es sich aneignen. Doch Cloridia war nicht einverstanden und hatte die Schwester um Hilfe gebeten. Camilla beruhigte uns, sie wolle persönlich über das Gut wachen. Abbé Melani lobte diese Entscheidung: «Die Kaufleute wollen uns unserer Ländereien berauben, indem sie uns lumpiges Papier dafür geben, das von einem Tag zum anderen wertlos werden kann. Der Boden hat keinen Preis, mein Junge: Er gibt zu essen, und darum macht er uns frei.»

    In Paris wohnte Atto, und wir mit ihm, in der Rue des Vieux Augustins in einer Mietwohnung, die einem gewissen Monsieur de Montholon gehörte. Seltsam, dachte ich, wir hatten das Augustinerinnenkloster in der Himmelpfortgasse verlassen, um in einer Straße zu wohnen, die nach demselben Orden benannt war.
    Anfangs hatte ich geglaubt, ich würde ein Diener Attos werden, ein Page oder etwas Ähnliches. Doch bei unserer Ankunft wurde mir sofort klar, dass er mich nicht brauchte. Der alte Kastrat verfügte über eine ansehnliche Schar von Hausdienern. Und obwohl es zutraf, dass die frühere, hochbetagte Gouvernante sich zurückgezogen hatte und Cloridia daher recht bald ihre neue Stellung im Haus des Abbés fand, sah ich wahrhaftig nicht, was ich, obendrein ohne Stimme, hier hätte tun können.
    Ich konnte noch nicht wissen, dass Atto ganz besondere Pläne mit mir hatte, und zwar nicht erst seit kurzem.
    Nicht das erste Mal hatte er mich gebeten, bei ihm zu wohnen. Er hatte es mir schon 1683, vor achtundzwanzig Jahren, angeboten, doch ich hatte abgelehnt, empört über die Intrigen und Lügen, in die er mich verstrickt hatte.
    Jetzt konnte er seinen Wunsch endlich verwirklichen. Damit ich mich nicht überflüssig fühlte, gab er mir kleine Aufträge und zahlte mir ein Gehalt, das einem Kardinalssekretär gebührt hätte. Den größten Teil der Zeit verbrachte ich indes damit, ihm zuzuhören. Eines Tages begann er, wie nebenbei, mir von seiner Herkunft zu erzählen, von seiner Kindheit, seinen Jugendträumen. Er wurde immer vertraulicher, nicht einmal den schrecklichen Tag, als der Barbier mit dem Messer in der Hand im Haus seines Vaters erschien, um ihn zu kastrieren, ließ er aus.
    Er erzählte Tag und Nacht, während der Mahlzeiten, mit vollem Munde, nachdem er alle anderen vor die Tür gesetzt hatte, und weiter bis zum späten Abend, wenn er keinen Schlaf fand und mich aus dem Ehebett riss, um ein wenig Gesellschaft zu haben. Cloridia zeigte Verständnis für die Launen des Kastraten und übte sich in Geduld. Sie hatte den nunmehr fast hilflosen Alten in ihr Herz geschlossen.
    Alles, wirklich alles erzählte mir Abbé Melani: Machinationen und Geheimnisse, bei denen es mir den Atem verschlug, unverzeihliche Sünden, für die er dem Allerhöchsten schon bald würde Rechenschaft ablegen müssen. Manchmal überwältigte ihn die Trauer, wenn er die Vergangenheit mit seinen eigenen Worten noch einmal durchlebte; andere Male hingegen zeigte er sich demütig bereit, den Preis für seine Sünden zu zahlen. So zogen in den drei Jahren, die ich bei ihm blieb, die Lustren seines langen Lebens in ungestümer Weise an meinen Augen vorüber, bis er so weit war, der Jahre seiner Reife zu gedenken. Und dann erzählte er mir auch noch das, was ich schon kannte

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