Veritas
lassen. Gondi, der Sekretär der Medici, suchte für ihn eine Wohnung in Florenz, im Viertel Borgo Santo Spirito. Er wollte ihn benachrichtigen, wenn er eine angemessene Residenz gefunden hatte. Atto hegte nämlich mitnichten die Absicht, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen, nein, er plante, ungeachtet seines hohen Alters, zwischen Florenz und Pistoia zu pendeln.
Er vertraute darauf, dass der König ihn endlich abreisen lassen würde, wenn der Frieden da war. Voller Vorfreude schrieb er nach Pistoia. Er konnte nicht wissen, dass es sein letzter Brief an die Neffen sein würde.
In dem überaus harten Winter, in welchen die letzten Lebensmonate Attos fielen, begab ich mich eines Tages in das Geschäft eines Buchhändlers aus Pontevedra, bei dem ich regelmäßig einkaufte. Ein anderer Kunde, der mir offensichtlich gefolgt war, drängelte sich im Laden vor, um als Erster bedient zu werden. Sein Gesicht war hinter einem großen Wollschal verborgen. Er fragte den Buchhändler, ob er einen Band mit dem Titel «Aus Halb-Asien» habe. Erstaunt antwortete der Buchhändler, von einem solchen Werk noch nie gehört zu haben. Darauf drehte der Kunde sich auf dem Absatz herum und brummelte ärgerlich vor sich hin:
«Ach, diese Pontevedriner … Halb-Asien!»
Ich blickte auf, und wie in einem Traum sah ich, dass die blaugrünen Augen eines etwas gebückten Hünen, den ich gut kannte, mir hinter dem Wollschal spitzbübisch zuzwinkerten …
Er drückte mir etwas in die Hand und verschwand dann rasch auf der Straße. Ich wollte ihm nachlaufen, doch er war größer, jünger und schneller als ich, ich wollte schreien, aber ich war stumm, ich wollte weinen, aber es hätte nichts genützt. Also lachte ich, immer lauter, denn ich fühlte mich plötzlich leicht wie eine Feder, und dann beugte ich mich über das, was er mir in die Hand gedrückt hatte. Es war ein schmales Büchlein:
Doctoris Henrici Casparis Abelii
STUDENTEN -KÜNSTE
Ein kleines Lesezeichen steckte darin. Ich öffnete das Buch an der Stelle und wusste schon, was ich finden würde. Es war die Seite, wo die Kunstgriffe beschrieben werden, mit denen man Kleider gegen Waffenverletzungen präpariert, jemanden drei Tage schlafen lässt und sich Tiere gefügig macht. Blitzschnell sah ich alles genau vor mir: den Panther und die anderen Raubtiere eingeschläfert oder gezähmt, meinen Gehilfen, der durch den Stollen in die Simmeringer Haide flieht. Richtig, Frosch hatte ihn uns gezeigt. Das hatte ich vergessen. Simonis nicht. Am Rand der Seite stand in der Handschrift von Simonis oder Symon oder wie auch immer sein wirklicher Name lautete: «Danke». Und ich war glücklich.
Eines Nachts träumte ich von einer geheimnisvollen, unter einem schneeweißen, wohlriechenden Mantel verborgenen Wesenheit, die mit dem Fliegenden Schiffe ankam und mich bis zum Turm des Stephansdoms emporhob. Dort erblickte ich den Sockel, der in längst vergangener Zeit den Goldenen Apfel getragen hatte. An seiner Stelle ragte dort nun der Reichsapfel auf, das Sinnbild des Erzengels Michael, Verteidiger des Gottesvolks. Das Wesen zeigte mir eine Inschrift. Es waren die sieben Worte des Erzengels Michael:
Imprimatur
Secretum
Veritas
Mysterium
Dann folgte ein wenig weiter unten: unicum … Und die beiden letzten Worte, die der Erzengel geschrieben hatte? Wie von einem Sturmwind erfasst, entfernte sich das Fliegende Schiff mit schwankendem Bug. Ich fuchtelte verzweifelt mit den Armen, suchte nach Halt, damit ich die letzten Worte der Botschaft noch lesen konnte, doch vergeblich. « Imprimatur et secretum , veritas mysteriumst », rezitierte die überirdische Wesenheit unterdessen mit dröhnender Stimme, wobei sie die übliche gedrängte Form antiker lateinischer Inschriften auflöste, bei denen Verben und Adverbien ausgelassen werden. «Man möge das Geheimnis ruhig enthüllen, die Wahrheit bleibt ein Mysterium!», übersetzte ich.
Darauf sprach das Etwas weiter: « Unicum … » Also: «Es bleibt nur …» Was bleibt? Und nun offenbarte sich mir das Wesen. Es nahm die Kapuze ab und zeigte sein lächelndes Gesicht: Es war Ugonio. Schlagartig bin ich aufgewacht, und darum weiß ich jetzt nicht, wie der Satz endet. Doch vielleicht ist es besser, nicht allzu viel nachzuforschen. Wer weiß, ob dies nicht wieder eine der verrückten Botschaften des Heiligenfledderers ist, wie Allium ursinum oder der Große Legator und das Albanum der Ereignisse in der Villa Spada, die Atto und mich vor
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