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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Stadt gebracht und sitzen nun zuhauf in den Kaffeehäusern bei ihrer ersten Arbeitspause, während die Köchinnen, Diener und Speisenmeister zu den Marktplätzen strömen. Um die gleiche Zeit wird die erste Messe am Tag verlesen: Von nun an werden unaufhörlich Glocken läuten, die den ganzen Tag lang Gottesdienste und andere religiöse Zusammenkünfte ankündigen, deren es hier mehr als in Rom gibt. Um sechs gehen die Ehefrauen und Töchter der niederen Angestellten, der Künstler und der kleinen Hausoffiziere einkaufen, das sind jene Stände, die sich keine Dienerschaft leisten können. Um sieben läutet die Türkenglocke (die seit der Belagerung von 1683 so genannt wird) oder auch Betglocke, die alle, ob sie nun im Hause oder auf der Straße weilen, aufruft, niederzuknien und das erste Tagesgebet außerhalb der Kirche zu verrichten. Um halb acht beginnen die rangniederen Angestellten mit der Arbeit. Frauen machen gerne die ersten Besuche bei Bekannten. Eine Viertelstunde später wird man mit Hilfsgesuchen bei den Residenzen der Adeligen vorstellig, die gegen acht Uhr immer zum Dejeuner laden. Ebenfalls um acht beginnt der Arbeitstag der höheren Angestellten. Zur gleichen Stunde verlassen die ersten Adeligen das Haus. Vor dieser Zeit sieht man auf den Straßen keine Kutschen, ausgenommen derjenigen bürgerlicher Familien oder Hausbeamter, die von einem kurzen Erholungsaufenthalt in den Vorstädten zurückkehren.
    Die Damen der Aristokratie sind Langschläferinnen und besonders faul. Der vor kaum zwei Jahren verstorbene, berühmte Hofprediger Pater Abraham a Sancta Clara hatte von der Kanzel gegen ebenjene Edelfrauen gewettert, welche es wagen, sich bis um halb zehn müßig im Bette zu räkeln. Manche Damen liefen gleich vom Bette aus ungeschnürt in die Kirche und zur Kommunion. Nicht wenige Prediger hatten darum vom Altar aus gegen die weiblichen Rundungen gewettert, die während der Morgenmessen unter den Mantillen hervorlugen, und gedroht, in das Dekolleté der Damen hineinzuspucken.
    Zwischen neun und zehn Uhr, nach Beendigung ihrer Toilette, strömen die Adeligen en masse aus dem Haus: Sie gehen auf den Bastionen spazieren, wo sie sich, vornehmlich im Frühling und Herbst, ein paar Stunden aufhalten. Ausländische Besucher sind nicht selten verärgert, wenn sie von Haus zu Haus eilen, um Besuche abzustatten, und niemanden antreffen. Von elf Uhr an ist jede Stunde Essenszeit, und das letzte Mittagsmahl in den Adelspalästen fällt mit dem ersten Abendessen der niederen Stände zusammen. Um zwölf speisen die Hofbediensteten zu Mittag und um ein Uhr die Nobilität, welche dann zwischen zwei und drei Uhr Freunde und Bekannte empfängt oder denselben ihre Aufwartung macht. Um drei kehren die Angestellten zur Arbeit und die Schüler in die Schule zurück. Um fünf Uhr ist Feierabend, und das gemeine Volk begibt sich, wie ich schon sagte, zum Abendessen. Eine Stunde später nehmen die Hofangestellten das Nachtmahl, während die Theater ihre Türen schließen. Um halb sieben werden die Stadttore geschlossen, so zumindest bis Mitte April, danach wird die Schließung um eine Viertelstunde verschoben. Wer zu spät kommt, muss sechs Kreuzer Bußgeld zahlen. Nun läutet die Bierglocke, und hat sie geschlagen, darf niemand mehr in den Schänken trinken. Auch darf man nun nicht mehr bewaffnet oder ohne Laterne durch die Straßen gehen. Um sieben Uhr legen sich die einfachen Leute schlafen, während die Adeligen sich zum Nachtmahl begeben – wahrlich ein Unterschied zu den Residenzen römischer Fürsten, wo um Mitternacht noch geprasst wird!
    Um acht Uhr schließen die Gaststätten. Bis neun oder höchstens zehn Uhr abends müssen die Arbeiter ins Haus des Meisters zurückgekehrt sein, wo sie Unterkunft haben. Im Falle einer Verspätung droht ihnen eine Geldstrafe.
    Mit Simonis hatte ich derlei Probleme bislang nicht: Wir waren beide Gäste des Klosters, und soviel ich wusste, hatte der Grieche den Ordensfrauen noch nie Sorgen bereitet.
    Auch der größte Genussmensch unter den Adeligen geht nicht später als um Mitternacht zu Bette. Zwischen dieser Stunde und drei Uhr in der Früh herrscht somit die kurze Nacht, die den Wienern aller Stände gemein ist.
    Um die Finsternis zu bezwingen und den Beginn rechtschaffener Tätigkeiten zu einer so undankbaren Stunde zu ermöglichen, hatte die Stadtverwaltung schon vor über zwanzig Jahren alle Straßen mit Laternen versehen. Dergleichen hatte ich wahrlich nie zuvor gesehen. Diese

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