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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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kündete meine Rückkehr am folgenden Vormittag an.

    Kaum war ich auf der Straße, ließ ich den Gedanken freien Lauf, die, seit wir das Fliegende Schiff verlassen, in einem Winkel meines Kopfes gärten.
    War diese sonderbare Kiste vor vielen Jahren wirklich geflogen? Sicher, die Flugschrift schilderte gänzlich phantastische Einzelheiten, wie zum Beispiel das Erscheinen der Mondbewohner. Es fiel indessen schwer zu glauben, der gesamte Inhalt könne erlogen sein. Der Verfasser hätte ungestraft Ereignisse erfinden können, die an entfernten, wildfremden Orten stattgefunden hatten (und das taten die Gazettenschreiber bei Gott nur allzu gerne!), nicht aber die Ankunft eines Luftschiffes in der Hauptstadt des Reiches, wo die Gazette ja durchaus gelesen wurde.
    Doch es gab da noch etwas anderes. Frosch hatte das Ding ein «Narrenschiff» genannt. Dieses Wort hatte den Pfropfen auf dem Gefäß meiner Erinnerungen abrupt gelöst.
    Es war vor elf Jahren, in Rom, mit Abbé Melani: eine Villa, verlassen wie der Ort Ohne Namen, welche die bizarre Form eines Schiffes besaß (tatsächlich wurde sie «das Schiff» genannt) und ein wunderliches Wesen beherbergte: Ganz in mönchisches Schwarz gekleidet (geradeso wie der Steuermann des Fliegenden Schiffes), war er uns erschienen, über den Zinnen der Villa fliegend. Er spielte eine portugiesische Weise, die folìa genannt wird, also «Narrheit», und deklamierte Verse aus einem Poem mit dem Titel «Das Narrenschiff». Später entdeckten wir, dass er mitnichten geflogen war. Violinist war er und hieß Albicastro. Eines Tages war er fortgegangen, um sich für den Kriegsdienst anwerben zu lassen. Ich hatte nie wieder von ihm gehört. In jenen Jahren hatte ich jedoch häufig an diesen Menschen zurückgedacht und mich gefragt, was aus ihm geworden war.
    Jetzt brachten das Schiff in Gestalt eines Raubvogels und sein Steuermann, der das Geheimnis des Fliegens zu kennen schien, ihn mir mit aller Macht ins Gedächtnis zurück. In der Meldung des Wiennerischen Diariums war von einem nicht näher zu identifizierenden brasilianischen Geistlichen die Rede, aber wer weiß …

17. Stunde, Ende des Arbeitstages: Werkstätten und Kanzleien schließen. Handwerker, Sekretäre, Sprachlehrer, Priester, Handelsdiener, Lakaien und Kutscher speisen zu Abend (während man in Rom gerade die nachmittägliche Zwischenmahlzeit einnimmt).
    Entgegen meinen Befürchtungen traf ich nicht auf eine ohnmächtige Cloridia. Meine süße Gattin ließ mich durch ein unter der Tür durchgeschobenes Billett wissen, dass sie im Dienst Seiner Durchlaucht Prinz Eugen im Palais hatte bleiben müssen. Das konnte nur bedeuten, vermutete ich, dass die Arbeit der türkischen Gesandtschaft ausnehmend schwierig war oder, wahrscheinlicher, dass die osmanische Soldateska im Gefolge des Agas von meiner Cloridia weiterhin mehr oder weniger schickliche Dienstleistungen verlangte, zum Beispiel die Versorgung mit Wein.
    Der treue Simonis erwartete mich bereits. In seiner stets gleichen Miene erkannte ich weder Besorgnis noch Erleichterung darüber, mich heil und gesund wiederzusehen. Ich war darauf gefasst, dass er seiner Redseligkeit, die sich an diesem Tag noch nicht hatte austoben können, nun freien Lauf ließ. Schon schickte ich mich an, seinem geschwätzigen Fragenkatalog zu begegnen; doch nichts geschah. Er teilte mir lediglich mit, er sei soeben von der Gastwirtschaft zurückgekehrt, wohin er meinen kleinen Lehrjungen für das übliche siebengängige Abendessen gebracht hatte.
    «Danke, Simonis. Bist du nicht neugierig zu erfahren, was mir geschehen ist?»
    «Über alle Maßen, Herr Meister, aber ich würde niemals so indiskret sein, danach zu fragen.»
    Sprachlos über solch entwaffnende Logik schüttelte ich den Kopf, nahm den Kleinen an die Hand und bedeutete Simonis, mich in das Gasthaus zu begleiten.
    «Beeilen wir uns, Herr Meister. Vergesst nicht, dass der Preis für das Abendessen in wenigen Minuten von acht auf siebzehn Kreuzer steigt; nach sechse, oder nach 18 Uhr, wie Ihr Römer sagt, wird es vierundzwanzig Kreuzer und nach sieben gute siebenundzwanzig Kreuzer kosten. Und um acht schließt das Gasthaus seine Türen.»

    Tatsächlich war in Wien alles eisern nach Uhrzeiten geregelt. Sie waren das eigentliche Unterscheidungsmerkmal des Adeligen vom armen Manne, des Handwerkers vom kleinen Angestellten. Wie Simonis mir just ins Gedächtnis gerufen, hatte dieselbe (fürstliche) Speise sowohl mittags als auch abends je nach

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