Veritas
dünkt's, dass es eine überaus schöne Übung sei, die Übung der italienischen Sprache, so bei uns sehr geübt in diesen Zeiten. Der Herr thut gar recht, dass er diese Sprache, also die fürnembste und nutzbarste in diesem Land, mit Ihrem Knaben spricht!»
Nach den ersten Sekunden panischen Erschreckens (ein den Novizen der germanischen Sprache wohlbekanntes Gefühl) gelang es mir mühsam, den Sinn der an mich gerichteten Ansprache zu erfassen. Ich schenkte dem guten alten Ollendorf ein schwaches Lächeln: Die Zeit war verflogen, und die gefürchtete Stunde des Deutschunterrichts war gekommen. Mit teutonischer Pünktlichkeit stand unser Präzeptor bereits vor der Tür und erwartete uns.
20. Stunde: Beisln und Bierhäusl schließen ihre Pforten.
Die Tortur des Deutschunterrichts, darin mein Söhnchen wie immer geglänzt und ich nur gelitten hatte, war vorüber, und wir verließen das Kloster, um uns zur abendlichen Probe des Oratoriums zu begeben.
Ich hatte noch keine Gelegenheit zu erklären, dass wir in jener Zeit Camilla de’ Rossi einen Dienst erweisen mussten. Die Leiterin des Chores an der Himmelpfortgasse war eine erfahrene Tonsetzerin und hatte in den letzten vier Jahren im Auftrage des Kaisers die nämliche Anzahl Oratorien verfasst und in Wien aufführen lassen, jedes Jahr eines, was ihr großen und allseitigen Applaus eingetragen hatte. Am Ende des vergangenen Jahres jedoch hatte sie Joseph I. um Permiss gebeten, sich zurückziehen und als Laienschwester in einen Orden eintreten zu dürfen. Ihre Kaiserliche Majestät hatte sie alsdann dem Augustinerinnenkloster in der Himmelpfortgasse bestimmt und ihr das Amt übertragen, den dortigen Chor zu leiten. Wider Erwarten war Camilla jedoch vor einigen Wochen vom Kaiserhofe mitgeteilt worden («per Eilzustellung», wie sie uns mit kaum verhohlener Befriedigung erzählt hatte), Ihro Kaiserliche Majestät erteile ihr auch in diesem Jahr den Auftrag, in aller Eile ein italienisches Oratorium zu komponieren. Auf die demütigen Einwände, die Camilla erhob, hatte der kaiserliche Bote erwidert, wenn sie durchaus nicht geneigt sei, ein neues Werk zu schaffen, werde Seine Kaiserliche Majestät es keineswegs verschmähen, zum wiederholten Male das Oratorium des vergangenen Jahres zu hören, den Heiligen Alexius , an welchem Er uneingeschränkt Gefallen gefunden habe.
Der Grund für sein Beharren war von großer Dringlichkeit. In den letzten Jahren waren die Beziehungen zwischen dem Reich und der Kirche auf dem tiefsten Punkt seit Jahrhunderten angelangt. Die Gegensätze zwischen Kaiser und Papst waren dieselben wie im Mittelalter, als die teutonischen Kaiser in das Hoheitsgebiet der Kirche eindrangen und die Päpste, die nicht über genügend Kanonen verfügten, mit Exkommunizierungen zurückschossen. Just so war es vor drei Jahren wieder geschehen, im Jahre 1708, als die Truppen Josephs I. – welcher den Papst in der hitzigen Atmosphäre jener Kriegsjahre allzu großer Franzosenfreundlichkeit zieh – in Italien in den Kirchenstaat einmarschiert waren und das Gebiet um Comacchio besetzt hatten, indem sie ein altes kaiserliches Anrecht auf diese Ländereien als Vorwand anführten. Dieses Mal hatte der Papst beschlossen, ebenfalls zu Kanonen zu greifen, und so war es zu einem traurigen Kriege zwischen Joseph, dem Sieghaften, und Seiner Heiligkeit Clemens XI. gekommen, der selbstverständlich mit dem Sieg des Ersteren endete. Nachdem die Waffen im ungleichen Kampf schwiegen, hatte der Konflikt sich noch über zwei Jahre hingezogen, und erst jetzt, im Frühling 1711, zeigte sich dank diplomatischer Bemühungen eine friedliche Lösung: Der Kaiser war bereit, die Ländereien um Comacchio freiwillig zurückzuerstatten. Den Rahmen eines endgültigen, vollständigen Friedensschlusses mussten natürlich eine Reihe gegenseitiger Gefälligkeiten bilden, wie es die politische Strategie verlangt. Also war Joseph I. vor fünf Tagen, am Sonnabend, dem 4. April, dem Vorabend des Osterfestes, vom Apostolischen Nuntius in Wien, Kardinal Davia, und einem großen Gefolge aus Ministern und höchsten nobiles begleitet worden, als er sich per pedes zu einem Besuch der Wiener Kirchen und Kapellen begeben hatte. Am folgenden Sonntag, dem Ostertage, war der Nuntius mit Joseph zur morgendlichen und nachmittäglichen Heiligen Messfeier in der Kirche der Ehrwürdigen Barfüßigen Augustinerpatres bei der Kaiserlichen Residenz gegangen, wie die Gazetten getreulich berichteten. Zum Abschluss
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