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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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philosophischem Gleichmut in Unannehmlichkeiten, die sie für unvermeidbar halten.
    Während wir voranschritten, stieg mir ein ekelerregender Gestank in die Nase, auch vernahm ich ein tiefes, feindseliges Gemurmel. Weiter vorn verwehrten uns ein breites Gitter und dahinter ein Graben das Weitergehen. Frosch bedeutete mir, stehen zu bleiben. Er ging mit dem Löwen voran, zog einen Schlüsselbund aus der Hose, öffnete einen Durchlass im Gitter und schob Mustafa hinein. Dann schloss er ihn wieder, kehrte zu mir zurück und geleitete mich in einen auf der rechten Seite an eine Reihe von Gräben grenzenden Laubengang, aus welchen der erwähnte Gestank und das Knurren kamen. Ich erschauerte, sobald ich den ersten Blick getan: In den Gräben hausten außer Mustafa weitere Löwen, Tiger, Luchse und Bären, wie ich sie zuvor nur auf Stichen gesehen. Zufrieden beobachtete Frosch meinen zwischen Staunen und Entsetzen schwankenden Gesichtsausdruck. Nie hätte ich mir vorgestellt, einmal so viele Bestien auf einen Haufen versammelt zu sehen. Aus einem der Gräben starrte ein Tiger mich mit argwöhnischem, gierigem Blick an. Ich erbebte und trat unwillkürlich zurück, als wolle ich mich hinter dem Geländer verstecken, das den Besucher vor dem Abgrund aus Kiefern, Reißzähnen und Klauen schützte.
    «Sovüü Fleisch, wos brauchen, jedn Tog. Owa des zoit eh da Kaisa, haha!», lachte Frosch herzlich und versetzte mir einen so starken Hieb auf die Schulter, dass ich ins Schwanken geriet. Ein Bärenpaar stritt derweil um einen alten Knochen. Nur Mustafa hockte mutterseelenallein in seinem Loch. Er war krank und hasste die Gesellschaft seiner Artgenossen. Er ziehe es vor, von Zeit zu Zeit einen Spaziergang mit dem Wächter zu machen, erklärte mir Frosch.
    Wir kehrten zurück. Aus einem der Gebäude neben der Wendeltreppe vernahm man ein beständiges, lärmendes Piepen.
    Kaum trat ich ein, wurde es zu einem ohrenbetäubenden Gekreische. Es waren die Vogelkäfige, die ich am Geräusch schon längst erkannt hatte, denn ich selbst hatte in Rom die Volieren der Villa Spada betreut, in jenen glücklichen Jahren, als ich noch im Dienst des Vatikanischen Kardinalstaatssekretärs stand. Die Gattung der Aves kannte ich gut, und es gab mir einen Stich ins Herz, als ich sah, wie Frosch das arme Federvieh im Ort Ohne Namen hielt. Statt der geräumigen Volieren, die ich in der Villa Spada versorgt hatte, gab es hier nur enge, stinkende Käfige, wie sie sich bestenfalls für Hühner und Truthähne eigneten. Nur durch die Tür und einige Fenster fiel Tageslicht herein; derart eingeschlossen und mit Dutzenden anderer Vögel im selben Gefängnis zusammengepfercht, drohten sie allesamt zu ersticken. Ich gewahrte mir bekannte Spezies, aber auch solche, die ich noch nie gesehen hatte: herrliche Paradiesvögel, Papageien, Sittiche, Zwergscharben, die Fledermäusen gleichen, Vögel wie Schmetterlinge, mit goldenen, jutefarbenen, seidigen Federn. Allein der geräumige Vorhof, worin die gefiederten Sänger wohnten, verdiente Beachtung und Bewunderung: Es war ein großer Stall, wie Frosch mir erklärte, den jemand hatte verschönern wollen, indem er hohe toskanische Säulen dort aufstellte. Die oberen Kapitelle wurden an der Decke durch transversale Bögen verbunden, die einander überkreuzten und dadurch ein Netz von Wölbungen bildeten, darin Helligkeit und Dunkel sich in einem künstlichen Wettstreit von höchster Lauterkeit und artiger Schönheit begegneten.
    Diese überaus empfindlichen Wesen (wie es auch der kräftigste Raubvogel in Gefangenschaft ist) mussten unter einer so engen Unterkunft unzweifelhaft leiden. Frosch erläuterte mir, dass dies ursprünglich die Stallungen des Ortes Ohne Namen gewesen seien. Nach dem Verfall der Volieren habe sich niemand darum bekümmert, neue zu erbauen. Aber dort im Stall sei das Federvieh wenigstens vor der Winterkälte geschützt, und dank der Tür, welche man hermetisch schließen könne, auch vor dem Besuch von Steinmardern.

    Frosch fragte mich, ob ich, wo ich doch schon einmal da sei, nicht auch den Rest des Schlosses besichtigen wolle, aber die Sonne war inzwischen beträchtlich gesunken, und ich erinnerte ihn daran, dass ich immerhin zu Fuß nach Hause gehen müsse. Auch begehrte ich, zu Cloridia zurückzukehren, die zu dieser Stunde – wenn Simonis ihr erzählt hatte, was vorgefallen war – mindestens in Ohnmacht gefallen sein musste.
    Ich stieg die Wendeltreppe hinauf, verabschiedete mich rasch und

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