Veritas
von anderen ihm feindlich gesinnten Personen umgeben. Dennoch hätten Historiker von seinen großen Siegen in Landau berichten müssen und die Nachkommen nicht nur über den Ruhm, den der junge Kaiser sich dort erwarb, sondern auch über den heimlichen Groll aufklären müssen, den er in den Männern aus seinem Umkreis weckte. Ein solches Werk hätte vielleicht dem Vergessen gewehrt, das sich später über das tragische Antlitz Josephs senkte.
Nun, dieses Werk ist geschrieben worden, und es hat wahrhaft monumentale Ausmaße: 12 große handgeschriebene Bände. Das Schicksal oder, besser, Kaiser Karl VI., Josephs Bruder, hat es jedoch dazu verdammt, ungedruckt in einem Archiv begraben zu bleiben. Rekonstruiert man seine Entstehung, wie wir es getan haben, versteht man besser, wie bestimmte Fäden der Geschichte, die in lang zurückliegenden Zeiten gezogen wurden, bis heute wirksam bleiben können.
Wien, im Frühling 1738. Siebenundzwanzig Jahre sind seit Josephs Tod vergangen, zwei Jahre zuvor starb Eugen. Auf dem Kaiserthron sitzt Karl, Josephs Bruder. Gottfried Philipp Spannagel, ein gebildeter Homme de Lettres , schreibt eine Reihe dringender Briefe an eine adelige Dame, die Gräfin von Clenck (Wiener Nationalbibliothek, Handschriftensammlung, Manuskript Cod. 8434). Spannagel ist Oberintendant der kaiserlichen Bibliothek, eine Anstellung, die er dank seiner großen Gelehrtheit auf juristischem und genealogischem Gebiet sowie als Historiker erhalten hat. Er hat mehrere Jahre in Italien verbracht, schreibt flüssig nicht nur auf Latein, Deutsch und Französisch, sondern auch auf Italienisch. Elf Jahre zuvor, 1727, hat er den Posten eines Historikers bei Hofe und dann den des deutschen Custos der kaiserlichen Bibliothek bekleidet. Darüber hinaus hat Spannagel eine besonders heikle Aufgabe versehen: Zwei Jahre lang hat er der Erzherzogin Maria Theresia, Karls Tochter, Unterricht in Geschichte erteilt. Dank der Pragmatischen Sanktion, von der auch der Schornsteinfeger erzählt, wird sie ihrem Vater auf den Thron folgen und damit das natürliche Erbfolgerecht der Töchter Josephs übergehen. Maria Theresia, die weitaus tugendhafter veranlagt ist als ihr Vater, wird als große Reformatorin der österreichischen Monarchie in die Geschichte eingehen. Spannagel, der Gelehrte und Erzieher der Kaiserlichen Familie, schreibt an die Gräfin von Clenck, um sie zu bitten, eine persönliche Begegnung mit Karl für ihn zu erwirken. Die Gräfin scheint nämlich ausgezeichnete Kontakte zum Kaiser und zu seiner Gemahlin zu haben. Spannagel vollendet gerade ein beeindruckendes historisches Werk in 12 Bänden, für das er den Kaiser interessieren möchte. Die Arbeit ist in Italienisch verfasst, der Sprache, die ihrem Verfasser lieb und teuer ist. Der Titel lautet: Della vita e del regno di Josefo il vittorioso , Re et Imperadore dei Romani , Re di Ungheria e di Boemia e Arciduca d’Austria (Über Leben und Regierung Josephs des Sieghaften , König und Kaiser der Deutschen , König von Ungarn und Böhmen und Erzherzog von Osterreich , Wiener Nationalbibliothek, Handschriftensammlung Cod. 8431-8435 und 7713-7722). Es ist die erste Biographie Josephs, die seine heroischen Taten eingehend beschreibt und in den großen historischen Rahmen von seiner Kindheit bis zu seinem Tod einbettet. Für eine Veröffentlichung wird nicht nur die Erlaubnis, sondern auch die finanzielle Unterstützung des Kaisers benötigt. Also bittet Spannagel die Gräfin von Clenck immer wieder um eine Unterredung mit Karl oder wenigstens eine Empfehlung bei seiner Gemahlin. Doch ein Jahr vergeht, und im Frühling 1535 wartet der Bibliothekar noch immer auf ein Zeichen, dass die für eine Veröffentlichung seiner gewaltigen Arbeit unerlässliche Zustimmung von oben erfolgt ist. Von der Gräfin ist nur ein Billett erhalten, in dem die Dame Spannagel mit unverbindlichen Floskeln beruhigt und ein Treffen vereinbart, um ihm die langersehnte Antwort zu überbringen. Wie diese aussah, verraten uns die Tatsachen.
Della vita e del regno di Josefo il vittorioso ist das bewegende Zeugnis eines aufrichtigen Bewunderers, der Joseph I. in dem angehängten Briefwechsel (Cod. 8434, Karten 272 ff.) mehrmals als «mein Held» anspricht. Ohne je in die Apologie zu verfallen, bietet Spannagels Biographie ein lebendiges Porträt und hebt die geistigen, moralischen und soldatischen Tugenden ihrer Figur glaubwürdig hervor. Drei Episoden werden besonders sorgfältig ausgelotet: die beiden
Weitere Kostenlose Bücher