Veritas
goldenen Lichtreflexe der Kuppeln von San Marco zu sehen, die mit ihrem orientalischen Gepränge auf jenes treulose Venedig herabblicken, das Maximilian bei seinem Kampf gegen die Ungläubigen im Stich gelassen hatte.
Das also war der Ort Ohne Namen, genannt Neugebäu: kein Jagdschlösschen, kein Vogelgehege, kein Garten oder Villa, nein, es war ein osmanisches Serail. Bei einem Rundgang stieß man auf die Schatzkammer, den Vorratsraum, einen kleinen und großen Saal, den Innensaal, Wände aus weißem Marmor und Säulen aus Porphyr, auf Unterkünfte für Pagen und Zimmer für die Hofgarde. In jedem der Türme waren die Räume nachgebaut worden, aus denen Süleymans große Zeltstadt bestanden hatte, einschließlich des türkischen Bades. Man konnte den Audienzsaal bewundern, den Gerichtspavillon und den großen Saal des Diwans.
Es schien, als hätte Maximilian mit dieser grandiosen, heimlichen Parodie eines Sultanspalasts nicht nur ein Meisterwerk schaffen, sondern auch, mit einem betrübten Lächeln, stumme Rache an den Feinden aus dem Orient üben wollen. In Szigetvár war er von einem toten Sultan besiegt worden. Im Neugebäu hatte er sich gerächt.
Erst jetzt erkannte ich vollends den Ort, an dem ich mich befand: ein Schloss mit glänzenden Dächern, wie der Pavillon Süleymans, doch in einem Käfig aus klassizistischen Arkadengängen und auf beiden Seiten zwischen halbrunde Wehrtürme gezwängt, die an christliche Apsiden gemahnten und ihre Gefangenen wie Gendarmen bewachten. Im Hauptgebäude des Ortes Ohne Namen waren die beiden Angelpunkte Europas vereint: das Erbe der klassischen Welt und der christliche Glaube. Ihre Symbole umgaben Süleymans Pavillon nicht nur wie ein Belagerungsring, sie wachten auch streng über die Gärten und türkischen Türme im Südteil. Und sie versperrten den Weg nach Norden, ganz so, wie auch die Ungläubigen niemals vermocht hatten, den christlichen Westen einzunehmen. Die Wiesen und Wälder auf der Nordseite des Ortes Ohne Namen, Sinnbilder der borealen Welt, boten keinerlei Raum mehr für Anspielungen auf den Orient, im Gegenteil, sie öffneten sich vielsagend auf das Panorama der Kaiserlichen Stadt und ihrer Bollwerke, welche die Ungläubigen niemals hatten erstürmen können.
«Es war die Revanche an seinem Feind Süleyman», hörte ich Simonis sagen, der mit dem Knaben hinter mich getreten war, «aber mehr noch galt sie jenen, die ihn mit Gold überhäuft hatten, damit er sich gegen Europa erhob; denselben Personen, die Maximilian aus Hass auf die Kirche zum Kaiser gemacht und sich seiner dann entledigt hatten. Es war die raffinierte Rache eines entmachteten Kaisers, der das Einzige tut, was noch in seiner Gewalt steht: ein ewiges Mahnmal zu errichten, zum Gedenken an die erste Niederlage gegen Süleyman, die eine Wunde, die niemals verheilen wird.»
Ilsung versuchte mit allen Mitteln, Maximilian die Finanzierung des Neugebäus zu verweigern. Schon 1564 hatte er einen seiner Lieblinge zum Hofpfennigmeister gemacht, David Hag, der überdies mit Ungnad verwandt war. Hag wurde damit zum unberechenbaren Finsterling, durch dessen Hände jeder Pfennig gehen musste, der für den Kaiser, also auch für das Neugebäu, bestimmt war. Auf jedes Gesuch um Finanzierung der Bauarbeiten antwortete er, es sei nicht genug Geld da, oder er führte tausend andere Schwierigkeiten ins Feld. Als es Maximilian endlich mit einer List gelungen war, den Bau fortzusetzen, wiegelte Hag die Handwerker auf, indem er ihnen androhte, sie würden niemals bezahlt werden. Diejenigen, die sich nicht überzeugen ließen, hetzte er zu Streit und Brotneid gegeneinander auf. Außerdem verfügte er, minderwertiges Material anstelle des vom Kaiser gewünschten zu liefern, sodass schon während der Bauarbeiten Probleme auftauchten, weil einige Teile einstürzten. Bei seinem Tod im Jahre 1599, über zwanzig Jahre nach Maximilians Verscheiden, entdeckte man, dass Hag in den Rechnungsbüchern nur die Ausgaben des Kaisers verzeichnet hatte, niemals jedoch die Einnahmen, die für ihn bestimmt waren.
«Keine besonders zuverlässige Verwaltung der Gelder seines Herrschers», bemerkte ich ironisch.
«Höchstwahrscheinlich wurden Maximilian große Teile seines Vermögens entzogen», bestätigte der Grieche. «Trotzdem fand er immer irgendeinen Notbehelf, damit die Arbeiten weitergehen konnten, wenngleich nur sehr langsam und mit tausend Hindernissen. Und obwohl er unvollendet blieb, wurde der Ort Ohne Namen, das
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