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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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errichten ließ, von den Minaretten Allahs entheiligt. Konnte dasselbe Schicksal nicht auch Wien ereilen, das ‹Rom des Heiligen Römischen Reiches›? Und dann womöglich sogar Rom selbst?
    In bitterem Tonfall erzählte mein Gehilfe, während er sich mit unkoordinierten und plumpen (doch nicht unvermögenden) Bewegungen bemühte, Feuer an ein Bündel feuchten Holzes zu legen, das sich durchaus nicht entzünden wollte. Und in seiner Stimme drückte sich das ganze Leid aus, das den Griechen durch ihre osmanischen Beherrscher zugefügt wurde.
    Doch alles scheiterte», schloss Simonis. «Süleyman hatte den Widerstand der Belagerten noch nicht brechen können, als Gott einen so kalten Winter über ihn kommen ließ, wie man ihn noch nie zuvor erlebt hatte, und der Sultan musste mit leeren Händen umkehren, ja, er drohte sogar in Eisstürmen und Überschwemmungen, die den Jüngsten Tag einzuleiten schienen, sein Leben zu verlieren. Für seine Geldgeber war es der Ruin.»
    Der Traum war zerronnen. Weniger stolz und selbstgewiss klang von nun an der Satz «Beim Goldenen Apfel sehen wir uns wieder!», den jeder neue Sultan zum Abschluss der Einsetzungszeremonie dem Kommandanten der Janitscharen wie ein Versprechen zurief.
    «Der Goldene Apfel?»
    «So nennen die Osmanen seit Anbeginn der Zeiten die vier Hauptstädte der Giaurs: das Konstantinopel der Heiligen Theodora, das Buda des Matthias Corvinus, das Wien des Heiligen Römischen Kaisers und das Rom der Nachfolger Petri.»
    Der Goldene Apfel war eine allegorische Bezeichnung für die vier verbotenen Früchte der osmanischen Machtgier: Er stand für die vergoldeten Kuppeln von Konstantinopel, die funkelnden Knäufe auf den Spitzen der Dächer von Buda, die vom Kreuz Christi gekrönte Kugel, die Wien vom mächtigen Turm des Stephansdoms aus überragt, und schließlich für die enorme Kugel aus purem Gold auf der Kuppel der Basilika St. Peter in Rom, deren Schimmer sogar die Schiffer vor den Küsten Latiums sehen können.
    «Kaum besteigen die Sultane den Thron», bemerkte der Grieche sarkastisch, «versprechen sie den Janitscharen also mit diesem Satz feierlich, sie alsbald zur Eroberung jener vier Städte zu führen, geradeso als läge der Sinn des Islams einzig darin, die christliche Welt zu besiegen.»
    Der erste goldene Apfel, Konstantinopel, war von den Anhängern Mohammeds eingenommen worden; jetzt aber hatte sich in Wien das Schicksal gewendet.
    «Und wie es sich gewendet hat!», sagte ich lächelnd. «In der Tat hat die Hohe Pforte anderthalb Jahrhunderte gebraucht, bevor sie wieder genug Geld beisammenhatte, um Wien erneut zu bedrohen. Und auch diesmal vergeblich. Ich kenne die Geschichte von der Belagerung durch Süleyman im Jahre 1529: Vergangenen Montag habe ich dem jährlichen Aufzug der Bäckerzunft zugeschaut, die mit fliegenden Fahnen und Musik durch Wien marschiert ist, zur Erinnerung an die Dienste, die sie der Stadt während dieser Belagerung geleistet hat. Aber was hat die Belagerung von 1529 mit deiner Erzählung zu tun? Waren die Familien der ruinierten Geldgeber vielleicht dieselben, um deretwillen Ungnad später Kaiser Maximilian verriet?»
    «Ihr habt es erraten, zum Teil jedenfalls. Denn es gibt noch mehr zu erzählen. Wisst Ihr, wo sich während der Belagerung die Zeltstadt Süleymans mit den Brunnen und Wasserspielen, der Musik, den Tieren und all den anderen Lustbarkeiten, die er mitgenommen hatte, befand?»
    In Erwartung einer Antwort sah ich Simonis an.
    «Hier, in der Simmeringer Haide, just dort, wo sich jetzt der Ort Ohne Namen befindet.»
    Bei diesen Worten musste ich an die orientalischen Formen der Fialen und Kuppeln, an den Brunnen, den Turm des Thermalbades und die mediterranen Gärten denken. Ein Holzscheit für das Feuer noch fest in der Hand, verließ ich Gehilfen und Lehrjungen und ging hinaus. Im Freien angelangt, hob ich die Augen. Die Erzählung von Maximilians Lebensdrama hallte mir noch im Geiste wider, mein Blick schweifte über die hoch aufragenden Dächer des Ortes Ohne Namen, als ich entdeckte, was ich die ganze Zeit vor Augen gehabt, aber noch nicht wirklich gesehen hatte: Diese Dächer ahmten den schimmernden Glanz von Süleymans prächtigem Pavillon nach. Wieder stachen mir die Dachziegel aus vergoldetem Kupfer in die Augen, und mir schien, als stünde ich bewundernd vor dem unheilvoll grellen Licht des Bosporus und dem blitzenden Eisen der Krummsäbel, die dem Grafen Zrinyi den Kopf abschlugen; ja, ich meinte die

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