Veritas
hatte ihn zurückgehalten. Er hatte von dem Ruhm erzählt, den Luigi Rossi sich vor vielen Jahren in Rom im Dienste der Barberinis erwarb, dann von seinen Erfolgen am Hof des Königs von Frankreich. Er hatte berichtet, wie Rossis berühmte Kantate anlässlich des Todes Königs Gustav Adolf von Schweden Bewunderung in ganz Europa erregte und wie sein Orfeo , worin die Arien zum ersten Mal länger dauerten als die Rezitative, der Oper ein neues Gesicht verlieh. Luigi Rossi war ein freundlicher, höflicher Mensch von scharfem Verstande, aus seiner Feder floss ewig frische Poesie und inspirierte Musik; und in Rom wie in Paris hatte man ihm applaudiert wie keinem italienischen Musikus zuvor.
Atto, fuhr die Chormeisterin fort, durchlebte mit ihnen nicht nur Rossis Erfolge und Momente der Freude, sondern auch jene der Trauer, die ein halbes Jahrhundert zurücklagen. Er erzählte, wie die Nachricht von der Erkrankung der jungen Costanza, der wunderschönen Gemahlin seines Seigneur Luigi und Harfenistin der Barberini, just dann eintraf, als die beiden Männer zusammen in Frankreich weilten, im Dienst des Kardinal Mazarin. Und nichts hatte die überstürzte Rückreise nach Rom vermocht, während der Rossi die so überaus edlen Verse Speranza , al tuo pallore / so che non speri più , / eppur non lasci tu / di lu singarmi il core 3 * vertonte.
Denn noch während der Fahrt erreichte ihn die Meldung vom Tode seiner Frau, und das war der Moment, als er die elegische Passacaglia Poi che mancò la speranza 4 ** komponierte.
«Ein Unglück, das ihn selbst ins Grab bringen sollte», schloss die Chormeisterin betrübt.
Sie fügte hinzu, Atto habe ihr sogar die handgeschriebenen Tabulaturen mit den Arien seines Maestros gezeigt.
«Dann sagte Franz dem Abbé, dass wir planten, uns in Rom oder in Paris niederzulassen, jenen Städten, in denen Luigi Rossi gelebt hatte. Doch Melani riet uns ab. Im Gegenteil, er empfahl uns, nach Wien zurückzukehren, er sagte, dies sei nunmehr die Hauptstadt der italienischen Musik, denn in Rom und auch in Paris sei die musikalische Kunst am Ende. In Rom habe Papst Innozenz XL sie schon vor Jahren getötet, als er die Theater schloss und den Karneval verbot, und außerdem sei das Papsttum inzwischen im Niedergang begriffen. In Paris aber sei jetzt, da sich der Sonnenkönig Madame de Maintenon, dieser alten Betschwester aus dem Pöbel, hingebe, alles, sogar die Musik, grau und bigott geworden.»
Abbé Melani, so dachte ich bei den Worten der Chormeisterin, wusste, als er diese Ratschläge erteilte, sehr genau, welche Ereignisse binnen weniger Monate folgen würden. Der König von Spanien, Karl II., lag im Sterben, und bei seinem Tode würde sein Letzter Wille verkündet werden (dessen Inhalt – oh, ihr Götter! – Atto bereits kannte). Er wusste recht wohl, dass aufgrund des Testaments unvermeidlich der Streit um den spanischen Thron entbrennen würde, der schreckliche Krieg, der ganz Europa befallen sollte, insonderheit Italien, den Schauplatz der Kämpfe, und Frankreich, das sein eigener König ausbluten ließ. Der Rat des Abbés war also im höchsten Maße vorausschauend: Wien, die erhabene, von der Göttin des Überflusses geküsste Kaiserstadt, war die einzig sichere Zuflucht.
Und so, wie ich den alten Spion des Sonnenkönigs kannte, hatte gewiss auch die Überlegung nicht gefehlt, dass es sich als nützlich erweisen konnte, in Kriegszeiten zwei treue Freunde wie Camilla und Franz in einer feindlichen Hauptstadt zu besitzen …
«Aber gerade zu der Zeit wurde Franz krank», erzählte Camilla unterdessen weiter. «Er litt unter fortwährenden Anfallen von Lungensucht. Sich wieder nach Wien zu begeben, hätte tödlich für ihn sein können. Wir kehrten also nach Italien zurück, wo wir von einem Hof zum nächsten zogen. Mein armer Gemahl fürchtete nicht nur um sich, sondern auch um mein Schicksal. Darum beschloss er, als im Jahre 1702 der Erbfolgekrieg ausbrach, endlich den Rat Atto Melanis zu befolgen, und wir kehrten hier nach Wien zurück, wo ich, hätte ein Unglück mich nicht zur Einsamkeit verdammt, leichter mein Auskommen hätte finden können.»
Franz de’ Rossi, setzte sie die Erzählung fort, war sofort wieder in den Dienst Josephs I. getreten und hatte seine Gattin bei den Hofmusikern eingeführt, wo sie sich alsbald das Vertrauen des künftigen Kaisers erwarb.
«Des Kaisers?», fragte ich bewundernd.
«Wie allgemein bekannt, ist Ihro Kaiserliche Majestät ein Mann von hohem
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