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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Musikverstand und estimiert all jene, die ihm mit Eifer und Liebe dienen und ihn in seiner Leidenschaft für die Kunst der Klänge zu befriedigen trachten», erwiderte Camilla. « Timore et amore .»
    «Wie bitte?»
    «Das ist sein Motto. Es erklärt, mit welchen Waffen er regieren möchte: mit Furcht und Liebe. Timore et amore », skandierte aufs Neue die Chormeisterin und gab damit zu verstehen, dass sie mehr nicht zu sagen beabsichtigte. Dann kehrte sie zur Geschichte ihrer Ehe zurück.
    Franz de’ Rossi, der Nachfahre des Seigneur Luigi, verschied im neblichten Morgengrauen des 7. Novembers 1703 im Niffischen Hause an der Wollzeile, direkt hinter dem Stephansdom. Er wurde nur vierzig Jahre alt.
    «Ich blieb allein auf der Welt. Meinen Vater habe ich leider nie gekannt, und meine teure Mutter», fügte sie mit veränderter Stimme hinzu, «die bei meiner Rückkehr wieder zu umarmen ich glühend ersehnte, starb, als ich weit fort war.»
    «Auch meine Mutter ist in der Fremde gestorben», sagte Cloridia.
    Ich zuckte zusammen und Camilla ebenfalls. Cloridia sprach aus eigenem Antrieb von ihrer Mutter.
    «Zumindest glaube ich, dass sie inzwischen tot ist. Wer weiß, wann, wer weiß, wo sie gestorben ist», schloss sie mit düsterer Stimme.
    Die Chormeisterin nahm Cloridias Hand in ihre Hände.
    «Ich besaß einen Anhänger an einer Halskette», sagte Camilla langsam, «ein kleines Herz in Goldfiligran mit Miniaturen von mir und meiner Schwester als kleine Mädchen, doch leider ist es in dem Haus geblieben, in dem meine Mutter starb, und, ach, ich habe es nie wiederbekommen.»
    «Eure Schwester? Und wo ist sie jetzt?», fragte ich.
    «Ich habe sie nie kennengelernt.»

    Obgleich wir langsamen Schrittes gegangen waren und alle sich bietenden Umwege genommen hatten, standen wir nun vor dem Kloster der Himmelpfortgasse.
    «Ich bitte Euch, härmt Euch nicht wegen trauriger Erinnerungen», ermunterte sie uns mit einem Lächeln, bevor wir uns trennten. «Euch erwarten in den nächsten Tagen sehr frohe Stunden!»
    Während Camilla in Richtung des Dormitoriums verschwand, tauchten aus dem abendlichen Halbdunkel zwei Gestalten auf: ein junger Edelmann und sein Diener. Sie schritten auf den Flügel des Klosters zu, wo sich eine zweite Gästewohnung befand. Der Edelmann sagte zum Diener:
    «Denkt immer daran: Die Raben kommen in Scharen, der Adler fliegt allein.»
    Ich zuckte zusammen. Diesen Satz kannte ich. Ich hatte ihn vor vielen Jahren von Atto gelernt. Den ganzen Abend lang hatte ich an den Kastraten gedacht, und jetzt schien er mir zu antworten. Wer weiß, vielleicht hatte Melani den Satz von Kardinal Mazarin gehört, und darum war er vielen geläufig. Vielleicht kannte auch dieser Edelmann Camilla und hatte den Satz von ihr gehört, die ihn wiederum von Atto hatte. Schluss, das war zu viel des Spintisierens. Eines musste man freilich anerkennen: Es war eine jener Maximen, die man nie vergisst und gerne wiederholt.

    In unserem Zimmer schickte Cloridia sich zum Schlafen an, während ich endlich das tat, wonach es mich seit der Rückkehr vom Ort Ohne Namen gelüstete: in den Büchern und Schriften über Joseph I. zu blättern, die ich bei meiner Ankunft in Wien erworben hatte. Hier suchte ich Antwort auf meine Fragen. Warum wollte der Erhabene Kaiser den Ort Ohne Namen restaurieren lassen, ungeachtet der Kette aus Racheakten, die diese Stätte umgab? Das traurige Los seines Vorgängers Maximilian II. und die um das Neugebäu entbrannten Kämpfe zwischen Christen und Gegnern der Christenheit hatten dazu geführt, dass sich die Habsburger seit anderthalb Jahrhunderten den starken Pressionen derjenigen beugten, die das Monument der Niederlage gegen Süleyman dem Verfall preisgeben wollten. Nicht so Joseph der Sieghafte. Warum? Was bewegte ihn?
    Nachdem ich gleich zu Beginn die im knorrigen Teutsch verfassten Schriften beiseitegelegt hatte, entdeckte ich bald eine Reihe italienischer Panegyriken. Ich schlug den ersten auf: Lobpreisung der Fama und der Donau auf den Tag des Glorwürdigen Nahmens des Hocherhabenen Kaysers Joseph . Poema für Musik , gewidmet Ihrer Exzellenz , dem Herrn Grafen Josef von Paar , Großer Haushofmeister Ihrer Kayserlichen Majestät , komponiert vom Unterzeichneten, dem Akademisten Acceso Gelato, anlässlich des Namenstages des Herrschers im Jahre 1706. Ich begann, aufs Geratewohl in diesem Lobgedicht zu lesen, einem Dialog zwischen der Donau und der Fama:

    Donau : Bedrängnis
    Tyrannis
    Aus

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