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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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zuvor und auch später nie wieder gehört.

    «Schließlich reisten wir auch nach Frankreich, nach Paris», nahm Camilla ihren Bericht wieder auf, als die Probe beendet war und wir zusammen zur Himmelpfortgasse zurückgingen.
    Da man von der Kaiserlichen Hofkapelle zur Kärntnerstraße und von dort zum Kloster nur wenige Minuten braucht, gingen wir langsamen Schrittes, um Zeit für die Erzählung zu gewinnen.
    «Der französische Hof befindet sich aber in Versailles», wandte Cloridia ein.
    Hier lächelte Camilla ein wenig verlegen.
    «Wir waren nicht bei Hofe. Franz wollte vor allem einen Menschen besuchen, den einzigen noch lebenden, der ihm etwas über seinen Ahnen erzählen konnte, einen Großonkel, ebenfalls Tonsetzer. Er war zu Lebzeiten sehr berühmt, starb aber verfrüht. Dann haben die Zeiten sich so rasch geändert, dass er heute in Vergessenheit geraten ist. In Rom konnte Franz niemanden finden, der sich noch an ihn erinnerte. Erst in Paris endlich …»
    «Ihr sprecht vom Maestro Luigi Rossi, nicht wahr? Ist er Euer Vorfahre? Und es war Atto Melani, den Ihr in Paris besucht habt, oder? Also habt Ihr den Abbé kennengelernt?», bestürmte ich sie mit einer Folge aufgeregter Fragen, die schon längst Antwort gefunden hatten.
    Ausgerechnet in diesem Moment wurden wir unterbrochen, da uns eine Gruppe vornehmlich junger Menschen entgegenkam.
    Ich hätte es mir von Anfang an denken können, sagte ich mir, während ich der kleinen Menge auswich: Camilla war Atto begegnet. Es konnte nicht anders sein. Darum hatte der Abbé uns in die Himmelpfortgasse geschickt. In Paris hatte er Camilla kennengelernt und den Kontakt dann aufrechterhalten. Dank dieser Bekanntschaft verfügte er, wiewohl zwischen Frankreich und dem Reich ein Krieg tobte, über einen zuverlässigen Menschen in Wien, der Hauptstadt des Feindes. Hatte Atto nicht auch einen Brief an die Chormeisterin geschrieben, in dem er uns ausdrücklich ihrer Obhut empfahl, wie sie selbst uns bei unserer Ankunft berichtet hatte? Und das war nicht alles: Franz, der verstorbene Ehemann Camillas, war ein Neffe Luigi Rossis.
    Unterdessen strömten die jungen Leute in den Hof eines Hauses: Es handelte sich um eine Andacht, eine jener frommen Zusammenkünfte zum Gebete vor den Statuen von Heiligen und Schutzpatronen, wie sie in Wien nach Sonnenuntergang überall stattfanden. Man sang, man betete den Rosenkranz und Litaneien und hörte eine Predigt. Das Ganze endete dann mit einer üppigen Mahlzeit aus Wurst und Semmelschnitten und einem Weinumtrunk. Zuletzt zogen die Pärchen sich zurück, um ungestört zu sein.

    «Wann habt Ihr Melani gesehen?», fragten Cloridia und ich aus einem Munde, begierig, von unserem Wohltäter zu hören.
    «Das war vor elf Jahren, im August 1700. Der ehrwürdige Abbé empfing uns wie ein Vater, ja herzlicher noch, er behandelte uns während unseres ganzen Aufenthalts in Paris mit unvergleichlicher Güte und Großzügigkeit. Sein Edelmut und seine Liebenswürdigkeit haben mich sehr gerührt. Als wir ihm unsere Geschichte erzählten, zeigte er sich so einfühlsam, dass er mich vollends für sich einnahm. Ich kenne niemanden, der dem Abbé Melani an Seelenadel gleichkommt!»
    Camilla sang ein übertriebenes Loblied auf Atto. Umso besser für sie, sagte ich mir, dass sie den Abbé nur von seinen edelsten Seiten kennengelernt hatte …
    «Melani erzählte uns, er sei soeben aus Rom zurückgekehrt, wo er an der Hochzeit des Neffen des Kardinalstaatssekretärs teilgenommen hatte. Er wollte bis zum Konklave bleiben, aber eine böse Verletzung am Arm hatte ihn gezwungen, nach Paris zurückzukehren.»
    Im Weitergehen blickten Cloridia und ich uns an, ohne ein Wort zu sagen. Wir kannten diese Geschichte nur zu gut, da wir sie zusammen mit Atto erlebt oder, besser gesagt, erlitten hatten. Er war durch ein Messer am Arm verletzt worden, das war richtig – aber ein ganz anderer Grund hatte ihn gezwungen, aus Rom zu fliehen! Doch wir schwiegen. Wir hatten durchaus nicht die Absicht, Camilla das weniger lautere Gesicht desjenigen zu enthüllen, der uns mehr als einmal betrogen und ausgenutzt hatte, nun aber unser Wohltäter geworden war.

    «Der Abbé sprach uns also von seinem Lehrer Luigi Rossi, dem Vorfahren von Franz.»
    Melani hatte die Gestalt des Seigneur Luigi für sie und Franz mit ergreifender Genauigkeit zum Leben erweckt. Mehrmals drohte Atto dem Andrang seiner Tränen zu erliegen, und nur die Achtung vor Camilla, einer jungen, anmutigen Dame,

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