Veritas
geschickt zu zerstreuen gewusst, dass Cloridia uns jetzt recht gern zu den abendlichen Proben begleitete und sich in den Pausen sogar häufig mit der Chormeisterin unterhielt.
Es war derzeit die einzige Gelegenheit, die die beiden Frauen zum Plaudern hatten, und die Chormeisterin schien großen Wert darauf zu legen. Cloridia und ich waren nämlich so stark von unserer täglichen Arbeit in Anspruch genommen, dass wir die Küche des Klosters nicht nutzen konnten, es sei denn, wir waren krank. Zudem verbot die Ordensregel der Himmelpforte den Nonnen, sich mit Fremden an einen Tisch zu setzen. Camilla, die nur eine Laienschwester war, unterlag diesem Verbot nicht und war sehr enttäuscht, dass wir ihre Dinkelkornmahlzeiten nicht mit ihr teilten. Sie tröstete sich, indem sie uns köstliche Leckerbissen aus Dinkel für den Kleinen zusteckte, welche überdies die wohltätige Wirkung hatten, ihm eine eherne Gesundheit zurückzuerstatten. Und das hatte die Gefühle meiner Gattin für unsere freundliche Wirtin entschieden herzlicher gestimmt.
Camilla besaß die liebenswerte Gabe, in jedes Gespräch Themen einzuflechten, die Cloridia besonderes Vergnügen machten, in primis natürlich den Beistand der Schwangeren und die Pflege der Wöchnerinnen nebst ihrer Kleinen, doch auch die Kunst der Deutung von Träumen und Zahlen oder die der brennenden Rute, welche man auch den divinatorischen Stab nennen mag – all dies Disziplinen, in denen Cloridia überaus bewandert war und die sie in ihrer Jugend ausgeübt hatte. Begabt mit einer geradezu prophetischen Vorahnung, schien die Chormeisterin Cloridias Vorlieben zu kennen, und mit diskreter, aber sicherer Hand lenkte sie ihre Rede auf jene Gegenstände.
Solcherart liebenswürdige Aufmerksamkeiten vermochten die Zunge meiner süßen Gefährtin zu lösen, sodass Cloridia, wann immer Camilla sie nach ihrer Vergangenheit fragte, nicht wie üblich in Rage geriet, sondern sich fügsam daran gewöhnte, jede Neugierde zu befriedigen.
An diesem Abend war das Gespräch der beiden schon recht lebhaft, als Cloridia der Chormeisterin zum ersten Mal selbst einige Fragen stellte: Was um alles in der Welt hatte eine junge Römerin, obendrein aus Trastevere, bis nach Wien getrieben? Hatte sie kein Heimweh nach ihrem Stadtviertel? In welchem Haus genau war sie geboren und aufgewachsen? Cloridia, die als Gevatterin halb Rom kannte, hatte sich nämlich plötzlich an eine gewisse Camilla de’ Rossi erinnert, eine wohlhabende Händlerin aus Trastevere, Tochter eines gewissen Domenico da Pesaro und Mutter einer Lucretia Elisabetta, der meine süße Gemahlin bei der Geburt des Söhnchens Cintio beigestanden hatte. Cloridia hätte es durchaus Freude gemacht zu entdecken, dass sie diesen oder jenen Verwandten ihrer Gesprächspartnerin kannte. Man weiß ja, wie klein die Welt ist …
«Vor der Ehe ist nichts Interessantes in meinem Leben passiert», hatte Camilla sie jedoch knapp beschieden und wenig Neigung gezeigt, ihre Vergangenheit wieder aufzurühren, darin es vielleicht einige zu dunkle Punkte gab für eine Frau, die jetzt das Vertrauen Ihrer Kaiserlichen Majestät genoss.
«Vor der Ehe?», fragte Cloridia erstaunt.
«Ja, bevor ich in den Himmelpfortkonvent eintrat, war ich verheiratet. Doch jetzt entschuldigt mich bitte, die Probe muss weitergehen», sagte sie und eilte zu den Orchestermusikern.
So erfuhren wir, dass Camilla, obgleich erst neunundzwanzig Jahre alt, Witwe war.
Die Musik setzte ein. Die süßen Bogenstriche der Violinen stiegen sanft zum Gewölbe der Kaiserlichen Kapelle auf, getragen vom warmen Hauch der Orgel, dem silbernen Klang der Laute und den dunklen Farben des Kontrabasses. Aus dem Munde des Soprans, der soeben von Alexius verlassenen Verlobten, erhob sich eine traurige Klage:
Cielo , pietoso cielo … 1 *
Doch gleich darauf brach aus dem Orchester ein zorniger Hagel von Akkorden hervor. Die junge Braut tobte gegen ihre alte Liebe und bat den Himmel um eine Waffe, ihn zu bestrafen:
Un dardo , un lampo , un telo
Attenderò da te
Ferisci , arresta , esanima
Chi mi mancò di fé … 2 **
Da die Mitwirkung der Komparsen bei diesem Teil nicht benötigt wurde, hatte ich mich mit Cloridia und unserem Kleinen auf die Bänke der Kapelle gesetzt, um zuzuhören. Überwältigt von der ungestümen Musik, gewahrte ich erst nach einer Weile, dass ich mit einer Hand den Arm meines Weibes und mit der anderen die Rückenlehne der Vorderbank übermäßig fest drückte. Während
Weitere Kostenlose Bücher