Veritas
Cäsars gegen Pompeius, Vespasians gegen Vitellius oder Konstantins gegen Maxentius zu vergleichen, sämtlich denkwürdige Schlachten mit entsetzlichem Blutzoll und seltene Exempel dank des Heldenmuts der Soldaten, der Vielzahl der Legionen und der Erbarmungslosigkeit auf beiden Seiten.
Während ich mich so in meinem Räsonnement verlor, war der lange Zug der Schlitten in den mit Hunderten von Fackeln erleuchteten Innenhof der Residenz eingefahren und beschrieb nun feierliche Kreise von einer Seite des Platzes zur anderen, derweil das Volk applaudierte und seinem Jubel freien Lauf ließ.
Die Freude über unser neues Leben in der opulenten Hauptstadt jenseits der Alpen, der stille Zauber des fallenden Schnees, in dessen Gefolge hier, anders als in Rom, die tristen Klageweiber Armut und Hunger fehlten; die Lust auch an der Pracht des Kaiserlichen Hofes, welche hier – im Gegensatz zu jener von Versailles und des päpstlichen Hofes – kein Schlag ins Gesicht des notleidenden Volkes war, da jeder Arme in Wien wöchentlich zwei Pfund (zwei Pfund!) Fleisch erhielt, nun, all dies bewirkte, dass mein Weib und ich uns beglückt umarmten.
Resurrexit , sicut dixit , alleluia !
So lautete ein Vers aus der Arie des von Joseph I. selbst komponierten, herrlichen Regina Codi , dem wir immer wieder gerne in den Wiener Kirchen lauschten; und so jubelte unsere Seele angesichts der unerwarteten Auferstehung zu neuem Leben.
Tränen der Freude und des Überschwangs zurückhaltend, schenkten wir an jenem Tag unsere Herzen dem jungen Kaiser, der Verkörperung unserer Wiedergeburt in diesem großen, von grünenden Hügeln und üppigen Weinbergen umgebenen, unvermuteten Füllhorn, welches die Stadt Wien für uns war.
Ich hatte mich von süßen Erinnerungen ablenken lassen. Zerstreut kehrte ich zur Lektüre des Preisgedichts zurück:
Donau : Beim Blitz seiner Schwerter ,
Fama : Im Glanz seines Ruhmes
Donau und Fama : Verdorren die lichten Blüten …
Donau : Und diesen Blüten zur Schmach ,
Dem feindlich Regenten zum tiefen Gram
Schwindet den Baiern und Pannoniern
Der Hochmut , wiewohl noch infam .
Fama : O Kaiser , du hast mit Jupiter
Dein Reich geteilt ,
Und mit Mars den Lorbeer
In der schönen Blüte deiner Lenzen ,
Höre , dir zum Jubel angestimmt ,
Meiner Posaune tönend Schall
Öffne dein Herz der Freude ohn Grenzen …
O ja, sogar in diesen öden Versen steckte Wahrheit. Um gefürchtet zu werden, hatte Joseph sich Mars erwählt, denn der Krieg, dessen harter Klang niemals allzu weit von Wien entfernt war, hatte ihn von seinen ersten Lebensjahren an begleitet. Doch dem Mars der Lobeshymne musste man noch eine andere Gottheit zugesellen, und das war Venus.
Joseph hatte die Göttin der Liebe schon früh, in zartem Alter, kennengelernt, und das konnte anders nicht sein, da Mutter Natur ihn sehr großzügig beschenkt hatte. Mit vierundzwanzig war er schön, stark und so gut gewachsen wie seine robuste deutsche Mutter. Er trug keine einzige Spur des grässlich vorstehenden Kinns und des hängenden Mundes, welche seine Vorfahren seit Jahrhunderten entstellten, auch den Vater Leopold und den Bruder Karl, den derzeitigen Anwärter auf den spanischen Thron. Umgeben von den Missgestalten des Hauses Habsburg, ragte Joseph wie ein Schwan unter den hässlichen Enten hervor.
Die Frauen (Prinzessinnen, Hofdamen, schlichte Mägde) lieben den, der sich zu unterscheiden weiß, und er belohnte sie gerne des Nachts, eine nach der anderen, mit angemessenen Mitteln.
Und wie gewandt er war! Eloquenz, Brio und Phantasie – nichts fehlte ihm. Die Musen selbst waren ihm zu Hilfe gekommen und hatten ihre Talente über ihm ausgegossen. Der König von Frankreich kannte keine einzige Fremdsprache. Joseph sprach deren sechs, als wären sie seine Muttersprachen. Mit sieben Jahren schrieb er tadellos auf Französisch, mit elf auf Latein, und sechzehnjährig konnte er beide Idiome flüssig sprechen, außerdem Italienisch, und das mit guter Aussprache. Zwei Jahre später beherrschte er Tschechisch und Ungarisch. Er besaß viel Geschick für Musik und Komposition und spielte virtuos die Flöte. Seinen Körper stählte er mit Leibesübungen, durch die Jagd und die militärischen Disziplinen.
Ich griff nach dem zweiten Panegyrikus von einem gewissen Gian Battista Ancioni: « Josephi I ., König von Teutschland und Röm . Kayser , gedruckt zu Wien in Österreich bey Gio . Van Ghelen , Italiänischer Hofbuchdrucker Ihrer Kayserlichen Majestät
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