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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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erwarteten mich mit dem Werkzeug direkt vor Ort. Wir würden eine Zeit lang zusammen arbeiten, dann würde ich den beiden die Fertigstellung überlassen und mich zu unserem ganz in der Nähe gelegenen neuen Haus begeben, wo der Baumeister seit Tagen auf ein Gespräch mit mir wartete. Noch war es nicht zu spät, und nach den Gebeten blieb mir genug Zeit, um zu frühstücken.
    Wie gewohnt hatte meine Gemahlin am Bett ein wenig Brot und Konfitüre nebst interessanter Lektüre für mich zurückgelassen. Im Gegensatz zu meinen Gepflogenheiten in Rom, wo die (stets von Morden und Bluttaten strotzenden) Nachrichten meist nur Bangen und Erschütterung in mir auslösten, las ich jetzt häufiger Wiener Zeitungen, eine Tätigkeit, die auch der gute Ollendorf, unser Deutschlehrer, mir wärmstens empfahl, um meine tragischen Defizite zu beheben.
    Es gab in Wien jedoch nur zwei Gazetten, und die ältere von beiden war auf Italienisch verfasst. Sie hieß Corriere Ordinario , erschien alle vier Tage und war vor etwa vierzig Jahren von Italienern gegründet worden: dem Zwecke, den Ollendorf vor Augen hatte, also herzlich wenig dienlich, aber umso angenehmer zu lesen.
    Ich dachte an den Abend mit den Studenten zurück, an dem ich fast nur Italienisch gesprochen hatte. Simonis’ Freunde hatten alle in Bologna studiert und trauerten dieser Zeit noch immer nach. Wollte man sich in Wien wie zu Hause fühlen, sagte ich mir beglückt, musste man nur Italienisch sprechen. Voller Stolz über meine Herkunft nahm ich den Corriere Ordinario zur Hand.
    Während ich zufrieden durch die Gazette blätterte, malte ich mir aus, wie hart dagegen das Leben in Paris für Abbé Melani gewesen sein musste. Aus seinen Erzählungen und von der vox populi wusste ich, dass Italiener in Frankreich fast immer gehasst und verfolgt worden waren. Der berühmte Concino Concini, italienischer Favorit Ludwigs XIII., war kaum in seiner Gunst gefallen, als er schon von den Parisern gemeuchelt und sein Leichnam in Stücke gerissen wurde. Dann war Kardinal Mazarin gefolgt, ein durch und durch italienischer Intrigant. Er hatte die Musik und das Theater unseres Landes in Paris eingeführt. Durch die übergroße Macht, die er anhäufte, und die Willkür, mit der er sie ausübte, machte er sich alle zu Feinden. Während der Fronde mussten italienische Künstler Schikanen jeder Art erleiden: Jacopo Torelli, der Bühnenbildner des Orfeo , war von der Menge fast gelyncht worden, obwohl er seinen Namen zu «Torel» französisiert hatte. Auch Atto und sein Maestro Luigi Rossi hatten aus Paris fliehen müssen. Nach dem Tod des Kardinals waren die italienischen Musiker sogar in Unehren entlassen und nach Hause geschickt worden. Danach ersetzte man sie zur Freude der Franzosen durch ihren Jean-Baptiste Lully (wobei man jedoch vergaß, dass er in Wirklichkeit Giovan Battista Lulli hieß und aus Florenz stammte). Nun, was hätten die Franzosen wohl gesagt, wenn sie die Zustände in Wien gesehen hätten?
    Nicht nur waren hier zahlreiche Italiener, die großen Einfluss hatten und hohes Ansehen genossen: In Wien hatte man schlicht und einfach das Gefühl, in Italien zu sein.
    Schon bei meiner Ankunft hatte ich mit großer Freude bemerkt, dass die Innung, der ich angehörte – jene der Rauchfangkehrer –, gänzlich in der Hand meiner Landsleute war. Allein, das war noch gar nichts. Alles, was nicht zum Pöbel gehörte, schien meine Sprache zu sprechen. Die vornehme Wiener Gesellschaft trug italienische Kleider, konversierte, hofierte, machte Geldgeschäfte, predigte, schrieb und las auf Italienisch; im Idiom Dantes und Petrarcas wurden Briefe diktiert, wurde gekauft und verkauft, geliebt und gehasst und Freundschaft geschlossen. Wir wurden bewundert und, wenn nicht geliebt, so doch gewiss respektiert. Bei Hofe war das Italienische sogar die offizielle Sprache; Kaiser Joseph beherrschte es vorzüglich (ja, er konnte sogar die Dialekte Roms, der Toskana und Venedigs perfekt sprechen), ebenso sein Vater Leopold und sein Großvater Ferdinand III., welcher auf Italienisch dichtete, außerdem die großen Fürsten, Gesandten und alle sonstigen hochrangigen Personen. Vor fünfzehn Jahren hatte Leopold eine Schule gegründet, um die Sitten der österreichischen Adelssprösslinge zu veredeln, weil diese ihm weniger gebildet erschienen als jene des Auslands: Der Direktor und die Lehrer dieser Schule gehörten fast alle zu den Unsrigen.
    Legion war die Zahl der Italiener, welche als Sekretäre,

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