Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
Vom Netzwerk:
diesem Augenblick trat mit strengem und gemessenem Gebaren ein älterer Herr in den Saal, bei dessen Ankunft sich sofort ein Gemurmel ehrerbietiger Aufmerksamkeit erhob.
    «Das ist der Dekan der philosophischen Fakultät», erklärte mir Koloman Szupán.
    «Der Dekan? Ein Professor?», wunderte ich mich.
    «Aber gewiss doch! Seit jeher obliegt es dem ältesten Professor der philosophischen Fakultät, das Attest der Deposition auszustellen.»
    «Es ist ein offizieller Akt: Wenn der Beanus die Prüfung der Deposition nicht besteht, kann die Alma Mater Rudolphina ihn nicht aufnehmen», ergänzte Hristo.
    Simonis trat vor, erstattete dem Dekan einen zusammenfassenden Bericht vom Ablauf des Examens und bat, dem Kandidaten möge das Attest ausgestellt werden. Der Beanus erhob sich respektvoll, wenn auch ein wenig schwankend.
    Der Dekan nickte leicht mit dem Kopf, sprach einige lateinische Formeln und richtete eine väterliche Ermahnung an den Beanus. Dem jungen Mann wurde ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit gebracht, das er sofort austrank, und aus einem kleinen Behälter wurde ihm ein weißes Pulver auf den dafür wieder entblößten Kopf gestreut, was ihm winselnde Schmerzlaute entlockte.
    «Wein und Salz», erklärte mir Hristo, der Bulgare. «Sie sollen die Worte und Taten des Beanus mit Gelehrtheit und Weisheit würzen und ihn dazu bringen, Ratschläge und Ermahnungen zu befolgen.»
    Der Beanus war nun eher tot als lebendig. Angespornt von seinen Peinigern, fand er noch die Kraft, zu Simonis gewandt, mit hauchdünner Stimme die rituelle Formel zu sprechen, welche die Zeremonie beendete:
    « Accipe Depositor pro munere munera grata , et sic quaeso mei sis maneasque memor .»
    Während Depositor und Beanus sich unter erneutem Applaus umarmten, nahmen einige dem Prüfling den Hut mit den Hörnern vom Kopfe und legten ihn zu Boden: eine symbolische Geste, mit welcher die Deposition vollendet war. Auch der schwarze Umhang wurde ihm abgenommen und das Gesicht endlich mit einem sauberen Taschentuch gereinigt. In dem nun ausbrechenden Freudengeschrei konnte ich kaum hören, was Hristo mir erklärte:
    «Jetzt ist der Beanus ein Pennal geworden. Er ist noch kein richtiger Student, aber bald wird er es sein. Von nun an ist der Depositor sein Schorist.»
    «Und was bedeutet das?»
    «Wenn der Schorist Hunger hat, wird der Pennal ihm zu essen geben. Wenn er Durst hat, wird er ihm zu trinken geben. Wenn er müde ist, wird er ihm eine Schlafstatt bereiten. Was der Schorist verlangt, beschafft ihm der Pennal.»
    Ich wagte nicht, weiterzufragen; die Antwort ließ vermuten, dass Qual und Demütigung für den armen angehenden Studenten, obwohl er im Rang aufgestiegen war, mitnichten ein Ende hatten. Derweil drängte sich ein Haufen Zuschauer um den Neuling, Simonis und den Dekan, um Glückwünsche und saftige Kommentare auszuteilen.
    «Und wie lange dauert es noch, bis er ein richtiger Student wird?»
    «Nicht lange. Die Wartezeit ist in den Universitätsregeln festgelegt: Von heute Abend an müssen ein Jahr, sechs Monate, sechs Wochen, sechs Tage, sechs Stunden und sechs Minuten vergehen.»

    Einige Augenblicke später konnte ich mich endlich dem armen Märtyrer dieser irrwitzigen Inszenierung nähern. Es war ein hagerer Jüngling, das Gesicht zu einem verwirrten, abwehrenden Lächeln verzogen. Hinter seiner kleinen Brille, deren Gläser von der Hitze in dem Festraum beschlagen waren, verbargen sich zwei flinke, aufgeweckte Äuglein, die von dem großen Radau, den man um ihn herum veranstaltet hatte, nur vorübergehend getrübt waren. Erst als ich ihn aufstehen und gehen sah, bemerkte ich die Eigenschaft, die ihn besonders kennzeichnete: Der Arme war hüftlahm.
    In diesem Augenblick wurde ich von lautstarken Rufen abgelenkt, mit denen die Studentenschar jenen Mann verabschiedete, der gekommen war, um dem Abschluss der Deposition feierlich beizuwohnen.
    «Und das war wirklich der Dekan?», fragte ich Hristo, der wieder an meiner Seite war.
    «Natürlich war er es. Schließlich sind wir hier nicht in der philosophischen Fakultät von Bologna! In Wien ist alles familiärer.»
    «Familiär bedeutet in diesem Fall», warf Dragomir Populescu ein, sich bei Hristo unterhakend, «dass die Universität hier nicht besser gestellt ist als die Familie dieses Hurensohns, hahaha!»
    «Seid still, ihr Schwachköpfe! Das Masturbieren hat euch schon wieder das Gehirn aufgeweicht», unterbrach ihn Koloman Szupán. «Ich erkläre unserem Freund, wie

Weitere Kostenlose Bücher