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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Lehrer, Maestri der Musik oder Fechtkunst, Tänzer, Kanzlisten, Ärzte, Bibliothekare, Prediger, Skribenten und Lakaien, sonderlich aber als Poeten angestellt waren. Denn wo war die Wiener Dichtung? «Es gibt keine», sagte man. Und wenn man in Wien Geld leihen wollte, war es keineswegs nötig, zu den Juden zu gehen: Man konnte sich an unsere Bieri, Bolza, Zangoni oder Brentano wenden, und sie würden einen nicht auf dem Trocknen sitzenlassen. Auch wer den rechten Weg finden wollte, musste sich von uns helfen lassen: Der auf den neuesten Stand gebrachte Stadtplan von Wien und Umgebung war vor kaum fünf Jahren von den Italienern Anguissola und Marinoni ausgearbeitet worden.
    In den Wiener Orchestern miauten die Violinen auf Venezianisch, die Flöten pfiffen auf Toskanisch, die Cembali zirpten im römischen Dialekt, und wenn ein Sänger seine italienischen Arien nicht mit vollendeter Aussprache sang, setzte es Buhrufe. Zwei Italiener, der Komponist Cesti und der Bühnenbildner Burnacini, hatten das erfolgreichste Melodram inszeniert, das je in Wien aufgeführt wurde, «Il pomo d’Oro», an dem sogar Kaiser Leopold mitgewirkt hatte. Draghi, Bertali, Caldara, Bononcini (Letzterer der Liebling des Kaisers) – ganze Scharen von Librettisten, Orchestermusikern, Sängern und Tonsetzern waren Italiener. Und woher stammten wohl Camilla de’ Rossi und alle Musizi in ihrem Umkreis, wie Ziani und Conti, die Sopranistin Landini, der Tenor Costa, der Kastrat Orsini und viele andere?
    Allerorten gab es italienische Schauspieler, und sogar die Marionettentheater, welche traditionelle Wiener Figuren darstellten, hatten sich mit vollen Händen bei der Commedia dell’Arte, bei Pulcinella und Arlecchino, bedient. Maler, Schneider und Goldschmiede des Kaisers strömten von Mailand, Bologna und Venedig nach Wien, alle auf den Spuren des berühmten Arcimboldo, der vor zwei Jahrhunderten von Maximilian II. angeworben worden war, Maximilian dem Mysteriösen, von welchem Simonis mir so viel erzählt hatte. Und der Ort Ohne Namen war ebenfalls Frucht des italienischen Ingeniums und der von seinem Erbauer angeworbenen Architekten.
    Wer hatte ferner die prächtigen Paläste der Stadt entworfen, erbaut, gemeißelt, bemalt, mit Fresken geschmückt, dekoriert und stuckiert, wenn nicht Italiener? Die Besitzer der luxuriösen Adelsresidenzen hießen Liechtenstein, Mollard, Dietrichstein und Harrach; aber verwirklicht hatten deren kapriziöse Einfälle die Martinelli, Pacassi, Pozzo, Nobile, Gagnola, Dorigni, Bartoli, Allio, Ricci oder Corradini. Sogar die Kaiserliche Residenz war das Werk eines meiner Landsleute, Luchesi; und im großen Innenhof prangte das Portal Pietro Ferraboscos aus dem 16. Jahrhundert. Wenn man auch noch die Halbitaliener und ihre Nachkommen hinzuzählte, hätte man sagen können, dass ganz Wien von Italienern erbaut worden war.
    Und mein Landsmann Eugen von Savoyen, der seit nunmehr acht Jahren dem Hofkriegsrat vorstand – war er nicht der ruhmreichste Heerführer der Kaiserlichen Armeen, ein würdiger Erbe der tapferen Piccolomini und Montecuccoli? Wenn die Stadt von der türkischen Belagerung des Jahres 1683 befreit wurde, so war das im Grunde das Verdienst eines Polen, des Königs Jan Sobieski, und eines Franzosen, des Kommandanten der Kaiserlichen Streitkräfte Karl von Lothringen, doch nicht minder das zweier Italiener: des verstorbenen Papstes Innozenz XL, der die Allianz der Christlichen Herrscher gegen die Türken zusammengerufen und finanziert hatte, und seines getreuen Helfers, des Kapuzinermönches Marco d’Aviano.
    Während ich mich, ob meiner Herkunft eitel triumphierend, derlei Betrachtungen hingab, erblickte ich zu Füßen des Bettes die deutsch-italienische Phraseologie, die mir Atto Melani geschenkt hatte: Sie war zu Wien gedruckt, doch ihr Verfasser, der Präzeptor der Kaiserlichen Familie, war ein italienischer Pater: Stefano Barnabè. Sogar die deutschsprachigen Werke des Hofpredigers und Mönches der Barfüßigen Augustiner, Abraham a Sancta Clara, wurden vom erzitalienischen Drucker Viviani gedruckt. Wir besaßen den Heiligen Franziskus, Dante und Kolumbus, den Entdecker Amerikas; wir waren ein Volk von Heiligen, Poeten und Seeleuten. Warum sollte man sich da wundern, dass auch die erste Zeitung Wiens unser Werk war? Ich begann mit der Lektüre.

    Die erste Korrespondenz stammte aus Lissabon und berichtete von Tumulten im Königreich Portugal. Trotz des Krieges waren die Nachrichten ziemlich bald

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