Verkehrte Welt
Einkaufstüten den Wohnwagen betrat, »es gibt noch jede Menge zu tun, an die Arbeit. Übrigens hab ich das reparierte Skelett im Kofferraum, das könnt ihr gleich mitnehmen.«
»Else, wir müssen mit dir reden, es gibt Neuigkeiten«, sagte Erwin.
Nachdem er sie über den Fall ins Bild gesetzt hatte, geriet Mutter Vonderbank aus dem Häuschen.
»Ich wusste immer schon, dass unser Emil was ganz Besonderes ist. Vielleicht sollten wir den Papst anrufen und fragen, ob denen so ein Fall bekannt ist, wenn mich nicht alles täuscht, hatten doch alle Heiligen besondere Fähigkeiten, oder?« »Was? Ich soll den Papst anrufen und fragen, ob es schon mal einen heiligen Wichser gegeben hat? Else, du hast doch nicht alle Murmeln im Sack. Ich fahre jetzt mit Emil mal schnell ins Eroscenter und gucke mir an, ob das auch in Gesellschaft funktioniert, und dann können wir immer noch den Papst anrufen.« Und so geschah es.
Erwin wohnte unter den kritischen Augen des Vaters einer sehr adretten, erfahrenen Mitarbeiterin aus Sachsen bei, die den Vorgang wie folgt kommentierte: »Ei verbibbscht, des gibt's ja gorni!«
Emil war verschwunden.
Und blieb es auch. Das Geschäft mit der Geisterbahn ist rückläufig, aber seitdem spukt's im Puff.
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GOTT LIEBT DICH
Heute Morgen gegen 11 Uhr, ich wollte gerade meinen Frühsport beginnen, klingelte es. Ich drückte auf den Knopf der kombinierten Gegensprech-Türöffnungs-Anlage und sagte: »Ja bitte?«
»Guten Morgen«, flötete eine nicht unangenehme Frauenstimme, »ich bin Frau Waldheim und würde gerne mit Ihnen über die Bibel reden.«
In solchen Momenten sagen die meisten Menschen meines Alters vermutlich: »Ach wissen Sie, mit der Firma bin ich seit vielen Jahren durch, das wäre vergebliche Liebesmühe, trotzdem einen schönen Tag für Sie.«
Das ist die höfliche Variante. Ich kann mir aber auch durchaus ein »Verpiss dich, Muttchen, du nervst!« vorstellen. Vielleicht ist es einfach eine Frage der Laune. Ich war in guter Stimmung, liebte die Menschheit und mich und dachte: »Respekt, da nimmt es eine Frau auf sich, wieder und wieder abgewiesen, belächelt, vielleicht auch beschimpft zu werden, weil sie an etwas glaubt.«
Es ist zwar nicht mein Glaube, aber es war mal meiner, und ich habe mir früher hitzige verbale Glaubensgefechte geliefert, erst pro, später contra, außerdem war der Kaffee gerade durchgelaufen, der Schlaf war schon aus den Augen gewaschen, die Zähne waren geputzt, der Sport konnte auch warten, und ich mache in meinem Seidenkimono durchaus etwas her, also sagte ich: »Na gut, kommen Sie rauf.«
Zwei Minuten später stand sie vor mir. Man verbindet mit Mormonen, Zeugen Jehovas oder anderen Sonderlingen, die im Namen des Herrn unterwegs sind, meist ein bestimmtes Erscheinungsbild. Rein äußerlich traf das in diesem Fall nur auf die Kleidung zu. Sie war verpackt in ein wischlappengraues Ensemble, sah aber aus wie Scarlett Johansson.
Am liebsten hätte ich auf der Stelle meinen Seidenkimono ausgezogen, um die Göttin damit einzuhüllen. Stattdessen sagte ich beschwingt: »Hallo, Frau Waldheim«, und begrüßte sie mit Handkuss. »Treten Sie ein. Ihr Vorname ist nicht zufällig Scarlett?«
Sie folgte mir leicht irritiert ins sonnendurchflutete Wohnzimmer, und während sie Platz nahm, wich ihr kinnlanges Haar für Sekunden zurück, gab die ganze sinnliche Schönheit ihres Gesichts preis, und mit Erschrecken sah ich darin die Spuren von Blessuren, die Andeutung eines Veilchens und eine leichte bläulichrote Verfärbung des Jochbeins. Als Richter hatte ich genug Fotos von Opfern häuslicher Gewalt gesehen, und sie machten mich immer wieder traurig und wütend. Sie registrierte meinen prüfenden Blick, zog eine Ray-Ban aus der Handtasche und setzte sie auf.
»Die Sonne blendet«, sagte sie.
»Lassen Sie uns offen sprechen«, begann ich, »Gott möchte nicht, dass seine Kinder prügeln, und erst recht nicht, dass seine Kinder verprügelt werden. Wie sehen Sie das?«
»Ganz genauso«, entgegnete sie, und mir war, als lege sich ein Schatten auf ihre jungfräulichen und doch so reifen Züge, »aber wie kommen Sie darauf?«
»Nun, ich denke, Ihr Mann schlägt Sie.«
Ihr Blick begann zu flackern. Sie schlug die Augen nieder und brachte mühsam ein kaum hörbares »Ja« über die vollen, kirschroten Lippen.
»Wissen Sie«, sagte ich, »ich bin Richter und habe
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