Verkehrte Welt
Schönheitsideal zu entsprechen?
K.)
Ich möchte mal eines klarstellen: Wenn Sie hier weiter so rumbrüllen und mich mit Ihrer feuchten Aussprache einnässen, ist das Gespräch beendet. Wir sind hier nicht vor Gericht und auch nicht in Guantanamo beim Waterboarding!
I.)
Stimmt, wir sind bei Ihrem Friseur, und was uns hier einnässt, ist der Spraynebel, mit dem Ihr Stylist gerade das Ozonloch vergrößert. Entschuldigen Sie, wenn ich gebrüllt habe, aber ich höre fast nichts unter der Haube. Und dass ich hier druntersitze, habe ich Ihnen zu verdanken, Sie haben mich schließlich dazu überredet, mir die Haare machen zu lassen. Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich beim Friseur?
K.)
Nicht so viel, wie Sie offensichtlich für die Nahrungsaufnahme brauchen, und erheblich weniger als beim Sport, bei der Hausarbeit und mit meinen Kindern, meinen Mann nicht zu vergessen, der im Übrigen alle Vorurteile, die es in Bezug auf stärker pigmentierte Mitbürger gibt, sogar noch übererfüllt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Stimmt es eigentlich, dass die meisten Journalisten nicht mit zehn Fingern schreiben können?
I.)
Ja, denn andernfalls würden sie ja schneller schreiben als denken, und das finde ich nicht so gut.
K.)
Auch wieder ein Punkt, in dem wir uns unterscheiden; ich habe nichts gegen schnelles Denken.
I.)
Ich auch nicht, wenn etwas Sinnvolles dabei herauskommt. Angenommen, Sie könnten aufgrund der Fortschritte in der Gen-Technik aussuchen, ob Ihr Kind eine Schönheit oder eine Intelligenzbestie wird, wie würden Sie sich entscheiden?
K.)
Herrje, schon wieder so eine dumme Frage! Wenn die Gentechnik beides einzeln garantieren kann, ist ja wohl auch beides zusammen möglich, und da Geld keine Rolle spielt, nehme ich beides, obwohl - wenn, wie in meinem Falle geschehen, die Kinder nach der Mama schlagen, ist die ganze Gentechnik überflüssig, kann sich also ganz Leuten wie Ihnen widmen. So, jetzt muss ich auch bald los, meine Kinder von der Schule abholen. Ja, es ist das Elitegymnasium, um Ihre Frage vorwegzunehmen.
I.)
(bricht in Tränen aus) Heidi, jedes Mal machst Du das mit mir. Du brauchst überhaupt keinen Interviewcoach, du willst nur jemanden zum Fertigmachen, so wie deine bulimischen Teenies in deiner beschissenen Fernsehsendung!
K.)
(bricht ebenfalls in Tränen aus) Ja, Irene, du hast ja recht, aber ich habe so eine beschissenen Woche hinter mir, Aufnahme in den Mensa-Club knapp versiebt, mein Prof hat mir für meine Philosophie-Zwischenprüfungsarbeit über Kants Metaphysik der Sitten nur eine 2 gegeben, und beim Simultanschach habe ich von 30 Partien nur 25 gewonnen, glaub mir, ich bin fix und fertig!
Beide weinen nun sehr heftig.
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LA MER
Letzten Urlaub saß ich auf einer Steintreppe am Meer, die Wellen schwappten an den Stein, Möwen zirpten, und ich dachte: Möwen zirpen doch nicht, das tun Grillen. Und in der Tat waren es Grillen. Und ich dachte, was wäre, wenn nun doch die Möwen gezirpt und die Grillen geschrien hätten? Nun, da hätte einer ganz schöne Umbauarbeiten an den jeweiligen Stimmapparaten vornehmen müssen, ob sich das gerechnet hätte, nur um einen älteren Herrn ein bisschen durcheinanderzubringen? Also fangen wir noch mal an.
Letzten Urlaub saß ich am Meer, auf einer Steintreppe, die Sonne lachte, ein kühler Wind wehte, und nicht umgekehrt, das Wasser klatschte an die Steine, Möwen, Grillen, pipapo, kennen wir schon, ich saß da, ganz bei mir, ganz im Einklang mit der Schöpfung, und war glücklich. Nein, das kann man eigentlich so nicht sagen, ich dachte, was für ein Scheißklischee, das ist ja so was von öde ist das, da kann man ja gar nicht so schnell gähnen, wie das langweilig wird, diese Szene, da muss doch wenigstens einer ertrinken vor meinen Augen, und zack, passierte es auch schon, ich denke, den kenn ich doch, der hat mir doch vorgestern im Supermarkt den Einkaufswagen in die Hacken gefahren, dass es nur so schepperte, da habe ich jetzt aber so gar keine Lust, behilflich zu sein ...
Der Wind wurde windiger, die Wellen welliger. Die weiße Gischt spritzte nun den Steinen nur so um die Ohren, und ich bekam die ersten Tropfen ab. Zeit, sich langsam in Sicherheit zu bringen, dachte ich noch, als das schäumende Meer mir eine satte Dusche verpasste. Ich wollte ein paar Stufen höher rutschen, kam schlecht
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