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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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zu recherchieren, obwohl es mich eigentlich von Anfang an langweilte. Ich fand hunderttausend Webseiten über Vampire und Vampirweisheiten. Je nach Seite waren sie derb, albern, lächerlich, schockierend, dumm oder was weiß ich noch was. Doch vor allem waren sie widersprüchlich. Es gab die Puristen, die sofort auf Bram Stoker und seinen Dracula-Roman verwiesen, wenn es nur um Fledermäuse ging. Dann waren da die Historiker, die Vlad  III ., auch »Der Pfähler« genannt, vorzogen, den berüchtigten rumänischen Prinzen, der mit Vorliebe zu Essen am Scheiterhaufen einlud. Außerdem haben sich unzählige Ideen entwickelt, nach denen den »Nachtwesen« alle möglichen übernatürlichen Kräfte oder Zauberfähigkeiten zugeschrieben werden, vom Fliegen bis zur Gestaltveränderung.
    Ehrlich gesagt, und mir ist bewusst, dass das in bestimmten Kreisen ein Frevel ist, hatten mich Vampire nie sehr interessiert. Endlich beschloss ich, dass ich selbst herausfinden musste, was ich war und wer ich wurde.
    Aber was wäre, wenn ich anfinge, plötzlich wie verrückt nach Blut zu gieren? War ich dazu verdammt, mich für den Rest meines Lebens von anderen Menschen zu ernähren?
    Schrecklicher Gedanke! Ich verbrachte so viel Zeit allein mit Manda.
    Stundenlang konnte ich nicht aufhören zu heulen, überwältigt vom Schrecken dieser Vorstellung. Dann entschied ich, dass ich würde gehen müssen, wenn ich auch nur den Hauch einer weiteren Veränderung bemerkte.
    Doch wohin? Was würde ich tun?
    Jene Woche kam mir vor wie ein ganzes Jahr. Ich bekam Albträume, in denen ich Reißzähne bekommen hatte. Doch der schlimmste Traum war der, in dem es um Manda ging. Meiner kleine Schwester wuchsen plötzlich Flügel auf dem Rücken, die aussahen wie spitze Knochen, die durch ihre Haut stachen. Sobald sie groß genug waren, breitete sie sie aus und flog wie eine riesige Fledermaus davon. Mitten in der Nacht fuhr ich hoch. Der Schrei blieb mir ihm Halse stecken.
    Nachdem ich auf dem Tiefstand angelangt war, dauerte es ewig, bis ich aus dem Loch aus Angst und Verwirrung, in dem ich mich befand, wieder herauskam.
    Doch schließlich gelang es mir. Am Ende der Woche schlief ich wieder besser und behielt Nahrung bei mir. Soweit ich es beurteilen konnte, gab es auch keine weiteren Veränderungen mehr. Die Albträume hörten auf.
    Allerdings war meine Welt heftig erschüttert worden. Nie mehr würde ich die »reale Welt« mit denselben Augen sehen wie zuvor. Alles, was ich bisher als wahr angenommen hatte, musste ich infrage stellen. Wenn Vampire wahr waren, konnte ein Baum womöglich auch zu sprechen anfangen. Vielleicht würde sich der Boden unter meinen Füßen im nächsten Moment öffnen und mich verschlucken.
    Und wenn es Vampire wirklich gab, bedeutete das, sie waren noch immer dort draußen unterwegs.

5
    Besuch
    Schneller als gedacht bekam ich die Möglichkeit, mit meinem Großvater zu sprechen. Am Wochenende entschied meine Mutter, es ginge mir gut genug, um die Wohnung zu verlassen. Wir fuhren zu ihm aufs Land, wo sie uns absetzte und selbst weiterfuhr, um »ein wenig Zeit mit mir selbst zu verbringen«, wie sie es nannte.
    Ich fand es immer wieder bemerkenswert, dass meine Mutter so wenig Zeit mit ihrem Vater verbrachte, aber sie sagte immer, das habe sie als Kind zur Genüge getan. »Zuneigung überspringt Generationen«, behauptete sie oft. Was ich so interpretierte, dass sie und Papi sich nicht gut verstanden.
    Doch heute waren mir andere Dinge wichtig. Auf der Fahrt musste ich unwillkürlich denken, wie lange ich wohl gebraucht hätte, die Strecke zu laufen. Ich wette, ich hätte den Kia schlagen können.
    Mein Großvater wohnte in einem kleinen eingeschossigen Haus in Pineville, mitten in der Provinz von Alabama. In Pineville lebten höchstens 300 Menschen, hinzu kam der ein oder andere herumstreunende Hund. Das einzig Besondere war ein kleines Lokal namens Schweinestall, wo es die Lieblingssoße meines Großvaters gab. »Das war Grund genug für mich, mich in Alabama niederzulassen«, sagte er immer.
    »Ich war nicht krank, Papi!«, rief Manda, während sie die hohen Steinstufen hinaufhüpfte.
    Unser Großvater hob sie mit Schwung hoch und drückte sie fest an sich. » Très bien , aber davon bin ich bei meiner chérie auch nicht ausgegangen«, erwiderte er mit seinem starken französischen Akzent.
    Er trug eine Art Blaumann, allerdings ohne die Ölflecken eines Mechanikers darauf. Sein schütteres Haar war wie immer ordentlich

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