Verletzlich
oder in einen Laden, der Samurai-Schwerter verkaufte, doch solche Waffen würden Verdacht erregen, wenn ich damit gesehen würde. Normale Werkzeuge waren lange nicht so verdächtig.
Auch hatte ich den Eindruck, dass Moreau nicht nur gefährlich, sondern auch großspurig war. Einer dieser Typen, die sich ihrer körperlichen Überlegenheit so sicher waren, dass sie glaubten, nichts anderes zu brauchen. Schon gar nicht gegen einen weiblichen Halbvampir. Lassen wir ihn in dem Glauben.
Wie gesagt, mit Waffen kannte ich mich nicht aus, mit Werkzeugen hingegen schon. Mein Großvater und ich hatten in den vergangenen Sommern viele Stunden im Baumarkt verbracht und alles Mögliche gebaut, von Vogelhäuschen bis zu Kaninchenställen. Die lange Hacke hatte ich ihm zu Ehren ausgesucht. Hacken waren Papis Lieblingswerkzeug.
»Da muss man sich nicht so bücken«, sagte er immer. »Und man kann sich darauf stützen, wenn man erschöpft ist.« Dann zog er die Hacke jedes Mal so durch die Erde, dass sie eine dünne Linie hinterließ. »Und sie kann als scalpel dienen.« Anschließend fuhr er mit der flachen Seite durch Unkraut. »Oder als Straßenhobel.«
Oder, wenn sie in die richtigen Hände geriet, konnte man damit einen Schädel spalten.
Ich befestigte meine Ladung mit den Spannriemen und schob den Wagen ans Ende eines ruhigen Ganges, wo sich der Lieferanteneingang befand. Dort wartete ich. Als sich der Pförtner kurz entfernte und die breite automatische Flügeltür vorübergehend unbewacht war, schoss ich darauf zu.
Bis der Alarm losging, war ich bereits mitten auf dem Parkplatz und wurde immer schneller.
Fast einen Kilometer vom Baumarkt entfernt blieb ich zum ersten Mal stehen und sah mich um. Niemand folgte mir, was mich nicht überraschte. Wer hätte auch mit mir mithalten sollen? Ich setzte meinen Weg über ein Feld fort. Ich fühlte mich grottenschlecht wegen des Diebstahls und schwor mir, dass ich eines Tages zurückkommen würde, um für das ganze Zeug zu bezahlen. Ob ich es wirklich tun würde, musste dahingestellt bleiben. Vorerst hatte ich eine weitere Besorgung zu machen.
Ich parkte den Wagen hinter einem Imbiss, der zu einer Tankstelle gehörte. Dahinter gab es nichts als Felder und eine Gärtnerei mit Gewächshaus. Meine »Einkäufe« waren hier sicher. Ich ging mit dem Benzinkanister auf die Vorderseite und wartete, bis ich sah, dass jemand den Tankrüssel im Auto stecken ließ, während er in den Imbiss ging, um sich etwas zu essen zu holen. Ich zog ihn aus dem Tank und füllte meinen Kanister fast vollständig, noch bevor er bezahlt hatte.
Das Benzin stellte ich neben den Einkaufswagen und betrat den Imbiss, in der Hoffnung, dass die Verkäuferin mich nicht bemerkt hatte. Sie war mit mehreren Kunden beschäftigt. Wunderbar . Eine bessere Chance würde sich mir nicht bieten. Ich warf einen Blick in das kleine Hinterzimmer, das als Büro diente. Leer. Ich schlich mich hinein, nahm den Hörer von der Gabel und rief zu Hause an. Nach dem vierten Klingeln ging der Anrufbeantworter ran und ich stammelte eine Nachricht. Nach einer halben Minute wurde ich abgewürgt, als ich gerade etwas zu Manda sagen wollte. Fluchend wählte ich die Nummer abermals.
»Hallo?«
Ich erschrak, als ich die Stimme meiner Mutter hörte. Angst, Trauer, Enttäuschung, Hoffnung – all das lag in diesem einen Wort.
»Emma!«
Wahrscheinlich war sie gerade von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte nach dem Hörer gegriffen, als der Anrufbeantworter abgebrochen hatte.
»Emma? Bist du es, mein Schatz? Mein Gott, wo bist du? Bist du verletzt? Oh Gott! Bitte sag doch was …«
»Mom …«, begann ich.
Ich versuchte zu reden, aber sie war vor Freude und Erleichterung so laut und durcheinander, dass sie wahrscheinlich kein einziges Wort von dem verstand, was ich sagte.
»Mom, es geht mir gut. Bitte … bitte mach dir keine Sorgen, aber ich musste fort … schnell. Ich weiß, dass es dumm war, durchs Fenster zu springen, aber ich, ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Ich musste weg.«
»Sag, bist du im Krankenhaus? Emma, was ist passiert? Hat dir jemand etwas angetan, dir etwas angedreht? Sag mir, wo du bist! Ich komme sofort. Aber bitte sag mir, dass es dir gut geht …«, brachte sie in einer Mischung aus Schluchzen und Schreien hervor.
»Mom, Mom!«, schrie ich gegen sie an. Ich musste so laut sprechen, damit sie mich hörte. »Ich bin nicht im Krankenhaus. Es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht
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