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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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ihre Bahn über mein kleines Reich, und der unendlich lange Schatten des Turms fiel erst auf diese und dann auf jene Seite, fast wie eine Sonnenuhr. Ich fragte mich, ob es mir gelingen würde, mit seiner Hilfe die Zeit abzuschätzen.
    Nach mehreren Stunden harter Arbeit war ich ziemlich zufrieden mit meinen vorläufigen Verteidigungsmaßnahmen. Morgen würde ich sie noch ein wenig verfeinern können. Zumindest würde ich heute Nacht ein wenig besser schlafen. Ich füllte den kleinen Generator mit Benzin und kurbelte ihn an. Er kam mir laut vor, aber meine Ohren waren so empfindlich, dass ich nur schwer beurteilen konnte, wie jemand mit einem normalen Gehör es empfand. Nachdem ich das Ladegerät mit den Akkus angeschlossen hatte, kletterte ich mit der Flüssigseife in der Hand nach unten.
    Mir war heiß und ich fühlte mich verschwitzt, weshalb ich mich im Bunker waschen gehen wollte.
    Der Boden des Bunkers stand fünf Zentimeter tief in kühlem Leitungswasser. Der Wasserhahn .
    Ich hatte das Wasser die ganze Zeit laufen lassen! Ich stapfte durch die Brühe in die Richtung, aus der das gurgelnde Geräusch kam – das Braun des Strahls war verschwunden. Ich ließ etwas Wasser in meine Hand laufen, roch daran und probierte. Es schmeckte leicht metallisch, davon abgesehen war es aber in Ordnung. Ich trank, bis ich nicht mehr durstig war, und schloss dann den Hahn, inständig darauf hoffend, dass es nicht irgendwo einen Sensor gab, der automatisch veranlasste, dass jemand herkam, um den Schaden zu beheben.
    Ich schaute mich um, dann zog ich mich aus und legte meinen Schlafanzug auf die Fensterbank. Ich stellte das Wasser wieder an und wusch mich. Es war kalt, aber es tat mir gut.
    Während ich mich an der Luft trocknen ließ, schüttelte ich meine Haare aus und benutzte meine Finger als Bürste. Es fühlte sich so wunderbar an, wieder sauber zu sein, dass ich die Vorstellung, den schmutzigen Schlafanzug wieder anziehen zu müssen, unerträglich fand.
    Wäsche waschen, Emma .
    Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter und hörte die Stimme meiner Mutter. Dann nahm ich Hose und Oberteil, drückte ein wenig Flüssigseife darauf und rieb den Stoff unter dem kalten Wasser gegeneinander, was anstrengender war, als ich gedacht hätte. Nach zehn Minuten dieser steinzeitlichen Arbeit schwor ich mir, mich beim nächsten Mal nicht zu beschweren, wenn meine Mutter mich bitten würde, die Waschmaschine anzustellen …
    Beim nächsten Mal .
    Was war bloß los mit mir? Früher hatte ich nie geheult und jetzt war ich dauernd nah am Wasser gebaut. Um mich abzulenken, schaute ich aus dem kleinen Fenster des Bunkers. Ein Habicht kreiste in der Ferne und die Sonne stand immer noch recht hoch über dem Horizont. Sobald ich hier fertig war, würde ich mich wieder auf die Suche nach etwas Essbarem machen.
    Ein Gegenstand fiel aus der Tasche meiner Schlafanzughose und trieb auf dem Wasser vor meinen Füßen. Ich bückte mich, um es aufzuheben. Was in aller Welt … Golden angemalte Makkaroni mit Glitter, die zu einem kleinen Oval zusammengeklebt waren … in dessen Mitte sich ein Bild befand …
    Manda.
    Goldgelockt grinste sie in die Kamera. Einer ihrer Schneidezähne fehlte. Ich drehte den Rahmen um und auf der Rückseite war mit einem roten Filzstift ein – jetzt verlaufenes – Herz gemalt.
    Sie musste es mir in die Tasche gesteckt haben, als ich ihr zum letzten Mal vorgelesen hatte …
    Ich fiel auf die Knie und hätte sie am liebsten aus dem Foto gezogen. Jedes Detail ihres Gesichts bis zu dem Leuchten in ihren Augen sog ich in mir auf.
    Ich musste laut schluchzen. Es war, als stünde dieses kleine, zerbrechliche Ding, in dem all die Liebe und das Vertrauen meiner Schwester steckte, einsam und allein gegen Moreaus Schrecken. Mein Verstand sagte mir, dass meine Familie inzwischen tot wäre, wenn ich zu Hause geblieben wäre. Dennoch hatte ich das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben, als sie mich am meisten gebraucht hätten. Ich werde ihr den Kopf von den Schultern reißen …
    Ich schob mir die Fingerknöchel in den Mund und biss zu. Fest.
    Stell dich nicht so an. Du brauchst nur etwas zu essen.
    Als ich wieder beim Sonnenobservatorium angekommen war, wurde es bereits dunkel und die Lichter in dem Gebäude waren ausgeschaltet. Wunderbar. Ich würde ungestört sein. Allerdings war auch niemand mit einer Barcode-Karte da, hinter dem ich mich hätte hineinschleichen können.
    Über das Dach schien man am leichtesten

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