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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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spürte aber, dass er in der Nähe war. Ich glaubte den ihm eigenen Geruch nach moderndem, verrottendem Laub wahrzunehmen. Alles war so real: Ich war mir sicher, auf der Veranda eines dunklen Hauses zu stehen und durch das große Fenster zu blicken. Ich starrte eine junge Frau an, die drinnen in einer Küche stand. Das Licht am Herd brannte und sie rührte mit einem Holzlöffel etwas in einer Pfanne um.
    Ich bewegte mich am Haus entlang und schaute in die anderen Fenster. In einigen brannte Licht, in den meisten war es aber dunkel. Dann schaute ich die Straße auf und ab. Ein Schild. Such nach einem Schild. Aber es war kein Schild zu sehen, nur einige parkende Autos und eine Reihe eingeschossiger Häuser mit alten Bäumen in den Vorgärten.
    Ich warf noch einen Blick auf die Frau in der Küche; sie rührte noch immer fröhlich in ihrem Topf. Wahrscheinlich wartete sie, dass ihre Familie nach Haus kam. Ich hatte sie mir ausgesucht. Ich hatte die Straßen nach jemandem abgesucht, der allein war.
    Ich schlich mich wieder auf die Veranda zur Haustür. Spürte meine Hand auf dem Türknauf. Ich konnte ihn wirklich fühlen, es war mehr als nur eine Vision. Der Knauf war kalt und glatt. Ich drehte daran – die Tür war offen – und trat ein. Sehr leise . Einen Moment lang stand ich reglos im Flur und blickte in Richtung Küche. Licht fiel von dort schräg ins Wohnzimmer. Ich war froh, den Lichtkegel nicht durchqueren zu müssen. Stattdessen ging ich geradewegs durch den Flur und bog dann nach rechts ab.
    Jetzt konnte ich die Frau aus einem anderen Winkel sehen. Sie war jung und hübsch. Ihr blondes Haar wurde von einem Band zurückgehalten. Sie war barfuß. Mit geschmeidiger Zunge leckte ich mir über die Unterlippe, während ich die Frau beobachtete.
    Ich lächelte. Es war nicht nur ihr Blut, obgleich ich jeden Zentimeter der warmen Ströme in ihrem Körper bewusst wahrnahm, nein, ich wusste auch, wie sie unter ihrer Kleidung aussah. Die Schwere und die Form ihrer Brüste, das Fleisch auf ihrer Hüfte und wie tief das Blut in ihren Schenkeln floss. Wo es der Oberfläche am nächsten war. Es war, als würde ich ihren Körper genau kennen – besser als sie selbst.
    Lautlos trat ich näher. Seltsamerweise schien das Gefühl von Bewegung zu stoppen, als ich am schnellsten war. Gerade hatte ich noch im Flur gestanden, dann war ich plötzlich in der Küche und hatte den Arm um sie geschlungen.
    Die Frau ließ den Löffel fallen und Nudelsoße spritzte auf den Boden. Ihr Mund war weit aufgerissen. Doch bevor sie noch einen Ton von sich geben konnte, hatte ich sie hochgehoben und trug sie in eins der Schlafzimmer, die im hinteren Teil des Hauses lagen.
    Dort war es dunkel. Ich warf die Frau aufs Bett. Sie sah zu mir auf und schrie. Ich fiel über sie her. Mit dem Arm hielt ich ihr den Mund zu und legte meine Hand seitlich an ihren Kopf, um ihren Hals in einem unnatürlichen Winkel nach hinten biegen zu können. Dann biss ich ihr in die zarte Kehle …
    Mein Magen füllte sich wie ein Beutel.
    Zurück in meinem kleinen Raum oben auf dem Turm schwang ich meinen Arm so wild herum, dass ich dabei die Lampe umstieß und die Karten vom Tisch fegte. Dann schob ich den wackeligen Stuhl zurück und stand auf. Mein Magen fühlte sich vom warmen Blut der Frau noch schwer an.
    Taumelnd wich ich einige Schritte zurück, bis ich an der Tür zusammenbrach. Ich kroch auf die Galerie hinaus und klammerte mich am Geländer fest. Nicht weil die Gefahr bestand auszurutschen, sondern weil ich Angst hatte, ich könnte mich freiwillig hinunterstürzen. Ich wollte springen. Mit dem Blut einer sterbenden Frau im Körper konnte ich nicht leben. Schließlich übergab ich mich in den Wald.

12
    Dunkler Kuss
    Ich lag auf dem Rücken auf der Luftmatratze oben auf meinem Turm und blickte auf, ohne etwas zu sehen. Ich fühlte mich gebrochen. Das Experiment war gelungen, wenn man es so bezeichnen wollte. Ich hatte tatsächlich mit Moreaus Geist Verbindung aufnehmen können, allerdings nicht so, wie ich es erwartet hatte. Ich war davon ausgegangen, dass ich ihm einen Besuch abstatten könnte, genau wie er mich besucht hatte. Als eine Vision, eine Projizierung, durch die ich mit dem Vampir Kontakt aufnehmen konnte. Doch es war etwas ganz anderes … etwas viel Entsetzlicheres geschehen.
    Ich habe sie umgebracht. Ich habe die arme Frau umgebracht.
    Heiße Tränen liefen mir über die Wangen. Ja, ich wusste, dass es eigentlich Moreau war, der sie getötet

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