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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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anfängt.
    »Nein!«, sagte Sagan und musste ein wenig lächeln. »Nicht das Wort. Das andere. ›Freunde‹ meine ich.«
    »Ach, hast du Angst, dass …«
    »Sag’s nicht, habe ich gesagt.«
    »Gut.«
    »Ich könnte dich fahren«, sagte er und zeigte auf einen verbeulten Jeep.
    »Chic«, sagte ich.
    »Hab ich von meinem Vater geerbt. Ein leicht gebrauchtes Geschenk zum Schulabschluss. Steig ein.«
    »Ne. Dann weißt du ja, wo ich mein Lager aufgeschlagen habe.«
    »Stimmt, aber wäre das so schlimm?«
    »Ich weiß nicht. Ich hoffe nicht.«
    Sagan streckte den Arm aus, als wollte er nach meiner Hand greifen, überlegte es sich dann aber offenbar anders und ließ ihn wieder sinken.
    »Kommst du morgen wieder?«
    Ich rieb mir das Kinn. »Kommt darauf an, was es zu essen gibt.«
    Er runzelte die Stirn.
    »Ach komm, das war Spaß. Danke für das Angebot. Ich komme … wenn’s geht.«
    Ich ging mit ihm zur Cafeteria zurück und ließ ihn hineingehen, bevor ich mich auf den Weg machte.
    »Das ist Wahnsinn, weißt du das?«, rief er in der offenen Tür und streckte abermals den Arm aus. Er will mich berühren , dachte ich.
    »Ja«, antwortete ich, »aber manchmal ist Wahnsinn sicherer als alles andere.«
    Jetzt war die richtige Zeit, um es zu versuchen.
    Nach meiner Rückkehr war ich zu dem schäbigen Turmzimmer hinaufgeklettert. Lieber hätte ich es draußen ausprobiert, oben auf dem Dach, aber wenn Moreaus Geist auftauchte, bekam er dort zu viele Hinweise, von denen er auf meinen Aufenthaltsort schließen könnte. Außerdem hatte ich Angst, aus Versehen einen tonisch-klonischen Anfall herbeizuführen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie ich mich wild wälzte und zuckte, bis ich über die Kante fiele und dann – Zack! – eine harte Landung mit dem Gesicht zuerst auf dem steinigen Waldboden hinlegen würde.
    Ich saß an dem wackeligen, alten Schreibtisch und öffnete eine Packung Spielkarten, die ich vor mir auslegte. Jedes Mal, wenn ich mich vorbeugte, um eine Karte abzulegen, quietschte der Stuhl.
    Wie groß war das Risiko, das ich einging? Im schlimmsten Fall würde ich einen fürchterlichen Schrecken bekommen, aber Moreau würde mich nicht berühren können. Und in diesem kleinen Raum konnte mich nichts verraten. Wenn der Test nicht funktionierte, wäre es vielleicht sogar gut, weil der Vampir dann mitbekäme, dass ich weitergezogen war und er die Chance verpasst hat, an meine Familie zu gelangen.
    Ich wusste lediglich, dass ich keine Lust mehr hatte, mich in die Ecke drängen zu lassen und die Maus zu spielen, während der Vampir die Katze war. Ich bin diejenige, die die Fäden in der Hand hat , dachte ich. Mal sehen, wie es dir gefällt, die Maus zu sein.
    Ich neigte die Lampe, damit sie so direkt wie möglich auf die Karten schien, und begann mir die Muster genau anzuschauen. Meine Augen wanderten von Karte zu Karte, ohne lange bei einem Bild zu verweilen. Von der Straße war ein Martinshorn zu hören.
    Konzentrier dich, Emma.
    Es schien nicht zu funktionieren. Ich sammelte die Karten wieder ein, mischte sie und ging das gemischte Blatt mit den Augen durch. Ah, das war besser. Eine warme, wohlige Empfindung begann sich hinter meinen Augen auszubreiten wie ein kuscheliges Handtuch, das sie wie ein weicher Puffer von meinem Gehirn abschirmte.
    Moreau , dachte ich und stellte mir den Vampir vor, wie ich ihn in jener Nacht in Georgia gesehen hatte. Mit gierigen, schwarzen Augen und dem geifernden, widerwärtigen Mund. Bring mich zu Moreau.
    Instinktiv berührte ich die Narbe an meinem Oberschenkel, wo seine Zähne mein Bein aufgerissen hatten. Ich fuhr mit dem Finger darüber, immer wieder, und merkte, wie die Haut wärmer wurde. Bring mich zu Moreau. Bring mich zu Moreau . Ich wiederholte die Worte so lange, bis ich sie nur noch in meiner Kehle hörte, als wüsste ich, dass das Universum sie erhörte.
    Dann, wie bei den Zahlen auf der Uhr in meinem Zimmer, geschah es. Die Karten wurden zu einer Form mit Farben darin. Und bald sogar noch weniger. Ich blickte auf ein großes Nichts und drängte mich dort hinein.
    Ich spürte eine Gegenkraft.
    Ich drängte abermals, als würde ich mich gegen eine Tür stemmen, die jemand anders zuhielt, dann aber doch losließ, sodass ich in den Raum dahinter hineinfiel.
    Wow . Es hat geklappt.
    Die Welt um mich herum gab es nicht mehr. Als es wieder hell wurde, war alles anders. Ich war an einem Ort, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.
    Ich konnte Moreau nicht sehen,

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