Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
reingelegt hatten.
    »Ihr wusstet, dass der Typ getrunken hat«, sagte ich und versuchte meine Übelkeit als Abneigung gegen Bier zu verkaufen.
    »Ach, du hättest sehen sollen, was sie mit mir gemacht haben!«, rief er. »Kein Bier, nein … Whiskey! Ein Betrunkener in der Gosse. Du kannst dankbar sein, dass wir dir jemand … Besseren ausgesucht haben.«
    Er grinste so breit und wirkte mit seinem schwarzen Haar, das ihm in die Augen fiel, so kindlich und unschuldig, dass ich mich beherrschen konnte und ihn nicht besinnungslos schlug.
    »Ich dachte, du hättest gesagt, Lena hätte dir bei deiner ersten Blutjagd geholfen?«, hakte ich nach und wischte mir zum x-ten Mal den Mund ab.
    »Tut mir leid, das war gelogen«, antwortete Anton. »Der, der mit mir das erste Mal losgezogen ist, war ein richtiger trou de cul .«
    » Trou de cul? «
    »Du willst es gar nicht wissen«, mischte sich Donne ein.
    »Ich meine den Allerwertesten«, klärte mich Anton lachend auf.
    »Wie dem auch sei, auf jeden Fall war das alles offenbar gerade eine große Inszenierung«, fluchte ich. »Dieses ganze Gefasel von ›Der ist nicht für dich‹.«
    Donne zog nur die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts.
    »Ha! Wenn du es dir mit ihr verscherzt, wird sie es dich spüren lassen«, sagte Anton zwinkernd. »Nimm’s nicht so ernst.«
    Je höher wir kamen, desto fitter fühlte ich mich wieder. Bald rannten und sprangen wir zu dritt mühelos zwischen den Bäumen hindurch. Ich habe menschliches Blut im Magen , dachte ich immer wieder. Ich habe sein Blut getrunken . Der Gedanke war so befremdlich, dass es unmöglich war, ihn abzuschütteln.
    »Seid ihr … erfolgreich gewesen«, wollte Lena wissen, als wir zum Steinhaus-Hotel zurückkehrten.
    Sie lag ausgestreckt auf der Decke, mit der sie mich überwältigt hatten, und hielt die Augen geschlossen. Zum ersten Mal bemerkte ich ihre Füße: Sie waren erstaunlich klein für ihre Größe und so blass, dass sich die Zehennägel selbst für meine Vampiraugen kaum von der bleichen Haut abhoben. Ihre Schuhe standen an der Wand: schmale, schwarze Schnürschuhe mit Gummisohlen, wie man sie auf Booten trug.
    »Du hättest ihr Gesicht sehen sollen!«, rief Anton und lächelte verschmitzt in meine Richtung. »Grün wie Gras, habe ich Recht, Donne?«
    Donne antwortete nicht, sondern ließ sich nur neben Lena auf die Decke fallen. »Warum bin ich nach einer Blutjagd bloß immer so müde?«, stöhnte sie gähnend.
    Lena öffnete die Augen und setzte sich auf. »Weil es fast Schlafenszeit ist. Bald geht die Sonne auf.«
    Das war mein Stichwort. »Wo … wohnt ihr?«, fragte ich neugierig, überlegte aber sofort, ob es nicht unhöflich war. »Tagsüber meine ich.«
    Lena sah Donne an. »Was meinst du?«
    »Ich glaube, sie ist in Ordnung«, antwortete Donne. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der vorsichtiger trinkt. Sie könnte uns noch etwas beibringen, was maßhalten angeht.«
    »Das lag am Bier«, sagte ich, damit meine Entschuldigung nicht in Vergessenheit geriet. »Nächstes Mal bin ich besser.«
    »Den Hunger können wir nicht kontrollieren«, sagte Lena. »Aber egal wie viele Jahre man es tut, das Trinken bleibt ein unnatürlicher Akt. Immerhin sind wir noch immer Menschen.«
    »Also, wo schlaft ihr nun?«
    Sie erhoben sich und ich half den dreien die Decke zu falten. In gewisser Hinsicht war es die eigenartigste Erfahrung dieser Nacht: Vier Vampire stehen kurz vor dem Morgengrauen in den Ruinen eines abgebrannten ehemaligen Hotels und tun das Normalste der Welt: Sie falten eine Decke. Sonderbarerweise empfand ich es als beruhigend, dass vier Leute aus vollkommen verschiedenen Zeiten die Decke auf genau dieselbe Art und Weise falteten. Zuerst wurde sie halbiert und dann gingen wir aufeinander zu, bis wir uns trafen. Einige Dinge ändern sich wohl nie.
    Wir machten uns auf den Weg in den Wald hinter dem maison de pierres . Wir gingen an einem kleinen Bach entlang, der über eine Klippe in die Tiefe fiel. Ich hörte das Wasser unten auftreffen. Entsprechend führte auch unser Pfad jetzt steil bergab.
    Nach all der Aufregung hatte ich zum ersten Mal Zeit, ein wenig darüber nachzudenken, was ich gerade erlebte. Ich kannte jetzt jemanden, der vor dem Sezessionskrieg, dem Amerikanischen Bürgerkrieg, geboren worden war. Die Härchen in meinem Nacken standen mir zu Berge … Ich würde ihr Fragen stellen können und würde als Antwort Berichte von Ereignissen aus erster Hand bekommen, die kein

Weitere Kostenlose Bücher