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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Gehsteig, wo sie ihn wieder ablegten und ihm noch einen Arm gebeugt unter dem Kopf platzierten.
    Ich hatte das Gefühl, mich inmitten von Außerirdischen zu befinden. Ich war Zeugin von etwas geworden, was offenbar auf der ganzen Welt immer wieder geschah, von dem die Menschen aber keinerlei Schimmer hatten.
    »Und was jetzt?«, fragte ich.
    »Abwarten und Tee trinken«, antwortete Donne.
    Sie und Anton zogen mich zum zweiten Mal hinter die Mauer des kleinen Restaurants, von wo aus wir den reglos auf dem Boden liegenden Mann beobachteten.
    »Womit hast du ihn ausgeschaltet?«, fragte ich flüsternd.
    »Äther«, antwortete Donne. »Man kann auch Chloroform nehmen. Leicht zu bekommen ist keins von beiden, es sei denn, man befindet sich nahe an einer Universität.«
    »Aber woher wisst ihr, wie viel ihr ihm geben müsst?«, fragte ich weiter.
    »Wenn man es ein paar Hundert Mal gemacht hat, weiß man es«, antwortete Donne und tat wieder einmal so, als wäre ich ein wenig schwer von Begriff.
    »Und … worauf warten wir jetzt noch?«
    »Wir müssen sicherstellen, dass mit ihm alles in Ordnung ist«, behauptete sie.
    »Ihr verarscht mich«, schimpfte ich. »Ihr habt dem Typen gerade Blut ausgesaugt und jetzt seid ihr besorgt, ob es ihm auch gut geht?«
    »Ja. Manchmal haben sie komische … Nachwirkungen. Außerdem ist er wehrlos.«
    »Was seid ihr nur für seltsame dunkle Gestalten?« Ich musste fast lächeln.
    »Wir sind menschliche Wesen«, antwortete sie mürrisch. »Und wir tun unser Bestes.«
    Als sich der Zeitungsmann ächzend aufsetzte, verschwanden wir in der Nacht.
    »Gut, und was nun?«, fragte ich.
    »Jetzt machen wir das Ganze noch mal.«
    Das nächste Opfer war eine ziemlich fette Frau, die langsam über einen fast leeren Supermarktparkplatz watschelte. Wir setzten sie hinter dem Lenkrad ihres Pick-ups ab und warteten, bis sie hustend wieder zu sich kam und sich verwirrt umschaute. »Wahrscheinlich arbeitet sie in einer Bäckerei«, sagte Anton schmatzend. »Sie schmeckt nach Mehl.« Das dritte Opfer war ein Typ, der allein in einer kleinen Portiersloge an einem Fabrikgelände saß und im Internet surfte. Sie bewegten ihn nicht einmal von seinem Stuhl weg.
    Jedes Mal sagte Donne etwas wie: »Der ist nicht für dich.« Puh , dachte ich. Ich beschwere mich ja gar nicht.
    Ich fühlte mich schuldig, obwohl Anton und Donne nicht behutsamer hätten sein können. Obwohl »behutsam« zugegebenermaßen ein seltsames Wort ist im Zusammenhang mit zwei Vampiren, die jemanden mit einem X-Acto-Messer aufschlitzen. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie ihre Opfer mit extremer Sorgfalt behandelten und alles taten, um den Schaden zu minimieren – psychisch und physisch.
    »Aber … fragen sie sich später nicht, wer sie bewusstlos geschlagen hat? Woher der Schnitt kommt?«, erkundigte ich mich.
    »Sicher«, pflichtete Anton mir bei. »Es sei denn, sie sind betrunken oder anderweitig nicht ganz bei Sinnen.«
    »Und würden sie es dann nicht am nächsten Tag melden?«
    »Und was würdest du der Polizei sagen?«, mischte sich Donne ein. »Ich bin mit diesem feinen Schnitt an der Schulter aufgewacht.« Sie lachte spöttisch.
    Ich musste daran denken, wie die Vampirfledermäuse an dem Schwein gesaugt hatten.
    »Was ist mit Tieren?«
    »Funktioniert nicht«, entgegnete Anton. »Die Verwandtschaft ist zu weitläufig.«
    »Okay … und Krankenhäuser? Blutbanken?«, schlug ich vor. »Könntet ihr euch … könnten wir uns nicht dort bedienen?«
    »Glaub mir, wir kennen diese Witze«, erwiderte Anton. »Guten Tag! Bin ich hier bei einer Blutbank? Ich würde gern eine Abhebung tätigen.«
    »Das Blut taugt nichts«, klärte Donne mich auf und warf Anton einen abschätzigen Blick zu. »Für Menschen ist es okay, aber es lebt nicht mehr wirklich. Wenn wir versuchen würden, uns davon zu ernähren, würden wir sehr bald verhungern.«
    »Vampire können also verhungern? Davon sterben?«
    »Na ja, streng genommen wissen wir nicht genau, wie es enden würde. Und ich habe auch kein Interesse, das herauszufinden.«
    »Du hast gesagt, Lena würde gerade fasten …«
    »Das stimmt«, antwortete Anton. »Sie ist unglaublich. Ihre Willensstärke. Ich würde es nicht aushalten, nicht so lange jedenfalls. Sie schafft es mehrere Wochen.«
    »Das gehört zum Leben als soleil dazu«, erklärte Donne. »Wir haben nicht darum gebeten, von menschlichem Blut leben zu müssen. Aber mit Fasten erhalten wir unsere Würde. So grenzen wir uns von

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