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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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nicht oft unter die Menschen dort unten«, sagte Lena und hob den Saum ihres zerrissenen Kleides. »Jedes Mal, wenn wir das tun, setzen wir uns der Gefahr aus, gesehen zu werden. Hier sind wir zumindest vorgewarnt, weil man es leicht mitbekommt, wenn sich jemand unserem Zuhause nähert.«
    Zuhause.
    Lena zündete eine Öllampe an. »Sie erinnert mich an die Sonne«, erklärte sie.
    Ich betrachtete den Raum genauer. Darin standen drei Stühle, die nicht zueinanderpassten und schief standen, weil der Boden uneben war. Auch der kleine Holztisch war nicht gerade. In einer Ecke stapelten sich einige alte Kartons. Der obere war offen und ein zerschlissenes Sweatshirt sowie ehemals weiße, inzwischen grau gewordene Socken hingen heraus. Ein kleiner, blauer, zerkratzter Plastikeimer enthielt Dinge wie Desinfektionsspray, weitere Tupfer und antiseptische Mittel, eine Flasche Babyshampoo, Seife und kleine Metallwerkzeuge, die ich nicht genauer erkennen konnte. An der Wand sah ich einen großen Krug Wasser. Drei Pritschen aus Paletten, mit einfachen Holzrahmen leicht erhöht, waren auf dem Boden verteilt. Kleine Sofakissen dienten offenbar als Kopfkissen. Außerdem hatten sie an einer Wand Bretter zu einer Art Regal zusammengefügt – für Bücher?
    Ich beugte mich hinab, weil es mich interessierte, was Vampire wohl lasen?
    »Antonio Adverso?«
    »Mich brauchst du nicht anzusehen«, sagte Donne und nickte in Lenas Richtung. »Sie ist der Bücherwurm.« Sie gähnte laut. »Ich … schlafe lieber.«
    Die Bücher waren dick und alt und hatten weiße Aufkleber mit einer Büchereiklassifikation auf den Rücken.
    »Vampire können also einen Büchereiausweis bekommen?«
    »Die sind leicht zu stehlen.« Donne wirkte ein wenig beleidigt.
    »Das streite ich ab!«, rief Anton. »Ich bin kein Dieb. Sie wollten mir einen Büchereiausweis geben, aber nur, wenn ich meinen Namen in Blut schreiben würde.« Er brach in albernes Gelächter aus.
    »Niemand findet das auch nur im Entferntesten komisch«, mokierte sich Donne und schlang den Arm um seinen Hals. »Aber wir lieben ihn trotzdem.« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
    Ich kam mir wie ein Eindringling vor und wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Ob sie wohl ein Bett teilten? Unwillkürlich musste ich an Sagan denken.
    »Wie lange seid ihr schon hier?«, fragte ich, um mich aus der Verlegenheit zu retten.
    Donne und Lena sahen sich an. »Ganz ehrlich, ich weiß es nicht«, antwortete Lena. »Drei oder vier Jahre vielleicht? Deshalb lese ich lieber dicke Bücher. Was soll ich sonst machen? Wenn die Zeit ziemlich bedeutungslos ist, hört man auf, darauf zu achten.«
    »Außer auf den Sonnenaufgang«, sagte Donne. »Bist du nicht ein wenig zu spät dran, Emma? Wo verbringst du den Tag? Hast du einen Unterschlupf?«
    Lena sah mich an. »Du kannst gern heute hier bleiben. Leg dich in mein Bett. Ich wollte ohnehin lesen.«
    Donne blickte finster drein.
    Ich verstand die Botschaft. »Danke, aber ich habe ein Quartier«, lehnte ich daraufhin dankend ab. »Es ist gar nicht weit weg. Ich bin ganz schnell dort.« Ich wandte mich Anton und Donne zu. »Vielen Dank nochmals, dass ihr mich mitgenommen habt, auf meine erste … wie nennt ihr es noch einmal?«
    » Chasse de sang «, sagte Anton. »Gern geschehen. Hat Spaß gemacht. Und Dank zurück, dass du es uns nicht allzu übel genommen hast.« Jetzt küsste er Donne, als wollte er ihren Mund schließen, bevor sie noch etwas Abfälliges von sich gab.
    Ich wusste, dass ich gehen sollte, aber in meinem Kopf schwirrten noch so viele Fragen umher.
    »Warum verwendet ihr so viele französische Wörter?«, erkundigte ich mich noch schnell.
    »Das hängt in erster Linie von der Gegend ab«, erklärte Lena. »Wenn du weiter nach Süden reist, nach Florida, sind es eher spanische Begriffe. Weiter nördlich, in Richtung Carolina und Virginia, finden sich mehr deutsche Worte. Zufällig war hier in diesem Gebiet Französisch vorherrschend. Ich selbst bin deutscher Herkunft, aber das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, was dort, wo du dich während der letzten éruption du soleil aufgehalten hast, vor allem gesprochen wurde. Bei der letzten Reinigung. Bei der nächsten Eruption werden die alten Wörter aus den verschiedenen Sprachen wahrscheinlich verschwinden – außer bei den perdus natürlich.«
    Lena ließ sich mit einem Buch auf einem der Stühle nieder. Sie schleuderte die Schuhe davon und machte es sich im Schneidersitz

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