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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Nicht-Vampir je miterlebt haben konnte. Jedenfalls keiner, der noch lebte und den man fragen konnte. Wo sollte ich anfangen? Angesichts der vielen Möglichkeiten wurde mir schwindelig.
    Weit gingen wir nicht. Der Pfad führte uns um den Wasserfall herum. Einen Meter weiter befand sich ein Überhang. Lena und die beiden anderen hockten sich nieder und krochen darunter. Von dort ging es weiter in den Berg hinein, als ich zunächst gedacht hatte. Auch wenn es keine richtige Höhle war …
    »In einer tieferen Höhle würde ich nicht leben wollen«, sagte Lena. »Da dann die Gefahr besteht, die nächste éruption du soleil zu verpassen.«
    Als wir an eine Stelle gelangten, wo eine steinerne Nase aus der Wand herausstach, hob sie ihr Kleid über die Knie und kroch auf Händen und Füßen um den Vorsprung herum. Dann gelangten wir an eine Spalte, die mit einer Steinplatte verschlossen war – sie zu verrücken würde menschliche Kräfte übersteigen. Auf den ersten Blick konnte man deshalb glauben, in eine Sackgasse geraten zu sein. Doch Lena und die anderen bohrten die Finger in die Erde unter die Platte und zerrten sie so weit hervor, dass wir uns gerade hindurchquetschen konnten.
    Dann schoben sie sie wieder an ihren Platz zurück. Ich rechnete mit Spinnen und ähnlichem Getier, doch der niedrige Gang öffnete sich bald zu einem breiten Raum, der hoch genug war, um darin zu stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein schmales Loch, durch das man, wie durch ein natürliches Fenster, den Wald sehen konnte. Für meine Vampiraugen war es hier drinnen fast taghell, auch wenn mir ein Blick auf die Uhr verriet, dass es bis zum Sonnenaufgang noch mindestens eine Stunde dauern würde.
    »Von draußen kann man das Loch in der Wand nicht erkennen«, sagte Anton und ging darauf zu. »Es ist zu hoch oben. Das ist unser Ausguck.«
    »Scheint die Sonne denn nie dort herein?«, fragte ich.
    »Nein.« Er nahm meine Hand und zog mich zu sich. »Schau mal, dort drüben … siehst du das?«
    Jenseits des Wasserfalls erstreckte sich in einer weiten Kurve ein Gebirgszug.
    »Der Berg ist vor der Sonne. Und wenn das indirekte Sonnenlicht doch mal zu stark wird, können wir es auf diese Art draußen halten.« Er zog an einer Schnur, die von der Decke hing, woraufhin sich ein dickes Stück Stoff die Wand hinabrollte und die Öffnung verschloss. »Meistens lassen wir sie jedoch offen«, sagte Anton. »Weil wir ja die nächste éruption du soleil nicht verpassen wollen.«
    »Wir leben so viel wie möglich draußen«, fügte Lena hinzu. »Auch das gehört zum Leben als soleil . Außerdem, wo sollten wir sonst bleiben? Die perdus , die immer unterwegs sind, müssen sich dauernd ein neues Quartier suchen, meistens in verlassenen Gebäuden irgendwo in der Wildnis mit einer Decke aus frischer Erde oder tief in den Gedärmen der Stadt. Unterirdisch. Unterhalb von Betonkonstruktionen, was sie eben gerade finden. Glaub mir, Emma, einen Platz zum Ausruhen zu finden, ist eines der größten Probleme in unserem ohnehin problembelasteten Leben.«
    »Aber in Büchern und Filmen werden Vampire – ich meine Leute wie wir – immer in großen alten Häusern oder Schlössern gezeigt«, entgegnete ich. »Oft sind sie reich.«
    »Das ist unrealistisch«, antwortete Lena. »Denk doch mal nach. Wir können keine Häuser besitzen, weil wir keine Geschichte haben.«
    »Keine Sozialversicherungsnummer, keine Geburtsurkunde, keine Zeugnisse, keine feste Adresse, nichts dergleichen«, ergänzte Anton. »Selbst wenn wir diese Dinge hätten, wie sollten wir alle damit verbundenen Verpflichtungen nachts regeln?«
    »Was die beiden sagen wollen, ist, dass das, was du in Filmen siehst oder in Büchern liest, der Glamour, die Romantik, die fantastische Kleidung …« Donne sprach den Satz nicht zu Ende und steckte drei Finger durch ein Loch in ihrer Jeans und lachte hämisch auf. »Die Hose habe ich gestohlen und auch das wird immer schwieriger.«
    »Weil es keine Wäscheleinen mehr gibt«, erklärte Anton und strich Donne liebevoll über den Arm.
    »Ich habe eine Sozialversicherungsnummer«, sagte ich.
    »Natürlich«, erwiderte Donne. »Leider nützt sie dir bloß nichts mehr.«
    Ihre Worte versetzten mir einen Stich und ich dachte an all die Dinge, die ich bis dahin für selbstverständlich erachtet hatte: gekochtes Essen, ein Dach über dem Kopf, bestimmte elektrische Geräte, warmes Wasser zum Duschen … Die Liste war unendlich.
    »Wir mischen uns

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