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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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erkennt ihn trotzdem.
    »Hallo«, sagt sie und lächelt. »Schön, Sie zu sehen.«
    Keine Antwort.
    »Was ich noch sagen wollte, ist … Ich habe begriffen, dass ich dieses Mal nachgeben muss. Es gibt nichts, was ich tun kann, um … um diese Riesenwelle aufzuhalten.«
    Trine gerät einen Augenblick aus dem Konzept. Sie schüttelt den Kopf. Verdammt, sie ist noch nicht bereit dazu, jemand anderem den Sieg zu überlassen und selbst nur Schelte einzufahren. Natürlich wird sie sich wehren.
    Eine Sekunde später sind ihre Gedanken wieder da, wo sie sein sollen.
    »Ich weiß, dass es verlockend ist, Remi, einfach auf diese Welle zu warten, die alles wegspült. Ich kann Ihnen versichern, dass ich diesen Gedanken auch schon oft gehabt habe, sowohl in früheren Situationen als auch jetzt gerade. Ich war wütend auf Menschen, die mir das Leben schwer gemacht haben, aber irgendwann muss man loslassen, das Geschehene vergessen und den Blick wieder nach vorn richten.« Trine sieht immer undeutlicher durch ihre Brillengläser. »Und ich glaube, es ist eine gute Sache, mit einer Entschuldigung zu beginnen. Entschuldigungen sind wichtig, Remi. Das sind …«
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Hm?«
    »Was Sie gerade gesagt haben.« Remis Stimme ist mit einem Mal hart.
    »Ich habe gesagt … dass die Fähigkeit, sich zu entschuldigen, wichtig ist. Dass sie ein Grundpfeiler zwischenmenschlicher Beziehungen ist.«
    »Erzählen Sie mir nichts von Entschuldigungen.«
    »Warum …«
    »Sie haben keine Ahnung von Entschuldigungen!«
    Trine ist einen Augenblick lang perplex. »Nein, vielleicht nicht«, sagt sie und sucht durch die nassen Brillengläser Remis Augen. »Aber ich weiß, dass der Grat zwischen Liebe und Hass ein sehr, sehr schmaler ist. Ich ahne, dass Sie Emilie einmal geliebt haben, Remi, und dass Sie es vielleicht immer noch tun. Es ist leicht zu lieben, aber genauso leicht ist es zu hassen. Und jemandem zu vergeben ist vielleicht das Schwerste von allem. Ich will damit nicht sagen, dass Sie denen vergeben sollen, die Ihr Leben kaputt gemacht haben. Das kann man von niemandem verlangen. Aber genauso wenig kann man von jemandem fordern, dass er sich entschuldigt. Eine Entschuldigung muss aus einem selbst kommen, ein Bedürfnis sein. Man muss selbst zu der Erkenntnis gelangen, dass man etwas falsch gemacht hat. Außerdem muss man den Wunsch haben, dass die Situation wieder besser wird. Finden Sie nicht auch, Remi?«
    Wieder nur Stille. Trine lauscht auf Atemgeräusche, hört aber nur Rauschen. Dann verschwindet er vom Fenster.
    »Remi?«
    Keine Antwort.
    »Remi? Sind Sie noch da?«
    82
    Emilie sieht zu Remi, hört das Schnauben, das er ausstößt, versteht aber nicht, was am anderen Ende gesagt wird. Ab und zu nickt er kaum merkbar und fährt sich mit der Hand übers Haar. Was er hört, scheint einen gewissen Effekt auf ihn zu haben. Vor wenigen Minuten noch wollte er sie alle töten, doch gerade scheint Remi sich wieder ein wenig beruhigt zu haben. Doch sein Zorn kann genauso schnell wieder auflodern. Und dann ist es mit ihnen vorbei.
    Emilie blutet. Sie reibt sich schon eine ganze Zeit lang die Handgelenke an dem dicken Seil, aber die Knoten haben sich keinen Millimeter gelockert.
    »Ich höre Sie«, sagt er.
    Worüber reden sie? Und mit wem spricht er?
    Das Klopfen im Schlafzimmer ist verstummt. Sebastian scheint eingeschlafen zu sein. Bitte, lieber Gott, lass es so sein! Wieder bewegt sie die Hände. Das Seil schabt schmerzhaft über die wunde Haut, aber es hilft nichts. Es sitzt bombenfest.
    »Wie geht’s dir?«, flüstert Mattis ein paar Meter entfernt.
    Emilie denkt an die Ereignisse der letzten Tage, Mattis’ neuen Job, die negativen Gedanken, die sich in ihr hochgearbeitet haben. Wenn sie ihn ansieht – außer Gefecht gesetzt, blutverschmiert und durchgewalkt –, muss sie sich eingestehen, dass nicht mehr viel übrig ist von dem Mann, der sie am Check-in-Schalter in Gardermoen gefragt hat, ob sie mit ihm auf die Rentierjagd gehen will. Und ihr ist klar, dass nur sie Remi stoppen kann, falls die Polizei erfolglos bleibt.
    Sie ruckt erneut an dem Seil, spürt den Schmerz, schluckt ihn aber hinunter. Urkräfte, denkt sie. Nur Frauen wissen, was das ist. Schmerzen können einen nicht aufhalten. Nicht wenn man ein Kind zur Welt gebracht hat.
    Aber die Knoten wollen sich einfach nicht lockern.
    Aus der Küche ist Remis hitzige Stimme zu hören. Er spricht von Entschuldigungen. Dann ist es wieder still.
    Ein Geräusch

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