Verleumdung
hier noch vor wenigen Minuten dramatische Szenen abgespielt hatten.
An einer Ecke parkte ein Streifenwagen. Das Risiko, Unschuldige zu gefährden, war offensichtlich minimal.
»Er hat aus dem ersten Stock geschossen, aber seither haben wir ihn nicht mehr gesehen.«
»Mit einer Pistole?«
Der Beamte nickte zunächst, zuckte dann aber mit den Schultern.
»Zumindest gehe ich davon aus. Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet. Ich bin vorher noch nie beschossen worden.«
Erst jetzt fiel Thor auf, wie bleich der Mann war. Seine Kollegin kommunizierte gerade im Streifenwagen über Funk. Es war kaum davon auszugehen, dass sie in einer besseren Verfassung war.
»Es wird nichts passieren«, sagte Thor schließlich. »Aber ich brauche eure Hilfe.«
Er beugte sich über den Beifahrersitz seines Wagens, öffnete das Handschuhfach und suchte fieberhaft darin herum. Er hatte die schlechte Angewohnheit, seine Waffe nicht am Körper zu tragen. Stattdessen legte er sie an den merkwürdigsten Orten ab und hatte dann Schwierigkeiten, sie wiederzufinden. Früher oder später würde sein regelwidriger Umgang mit der Waffe wohl eine Verwarnung zur Folge haben, oder sogar Schlimmeres.
Endlich fand er das Pistolenholster und zog die Waffe heraus. Es war eine Heckler & Koch USP Compact 9 mm, die Standardwaffe der Polizei mit dreizehn Schuss im Magazin. Sie hatte vor einigen Jahren die alte Walther PPK abgelöst, da man ihr eine größere Durchschlagskraft attestierte. Anfangs war Thor der neuen Seitenwaffe gegenüber skeptisch gewesen. Doch nachdem er fleißig damit auf dem Schießübungsplatz trainiert und sie schließlich auch bei einem echten Einsatz hatte ziehen müssen, war er von den Vorteilen der neuen Pistole überzeugt.
Der Streifenpolizist starrte auf die Pistole, die Thor gerade hinten in seinen Hosenbund steckte, so dass sie unter dem Hemd versteckt war. Er hoffte sehr, dass er sie nicht anwenden musste. In jedem Fall war es entscheidend, dass die Waffe nicht zu sehen war.
»Sie haben doch nicht etwa vor, da reinzugehen? Was ist denn mit dem SEK?«
»Wenn sich einer von denen hierher verirrt, müsst ihr ihn auf der Stelle aus dem Weg zerren, ohne dass man euch sieht. Ihr sorgt dafür, dass niemand, und ich sagte niemand , auch nur in die Nähe des Hauses kommt.«
45
D ie Korridore lagen verlassen da, und die stickige, warme Luft deutete darauf hin, dass die letzten Kollegen bereits am Nachmittag gegangen waren. Während des gesamten Fußwegs zum Panum Institut hatte Linnea versucht, jemanden bei der Abteilung für Forensische Anthropologie zu erreichen oder eine Nummer der Firma Securitas herauszufinden, die für die Sicherheit des Gebäudes zuständig war, doch vergebens. Die Wachleute drehten ihre festen Runden, und Linnea kannte ihr Einsatzschema nicht. Hätte es sich um einen zufälligen Einbruch bei ihr zu Hause gehandelt, wüsste der Dieb nicht, wozu die Schlüsselkarte passte. Aber Linnea konnte sich selbst nicht ganz davon überzeugen. Inzwischen vermutete sie einen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl und der Tatsache, dass sie begonnen hatte, in dem Mordfall herumzuschnüffeln.
Sie hastete zu ihrem Büro mit dem selbstgebastelten Namensschild und stellte erleichtert fest, dass die Tür verschlossen war. Alles schien noch genauso, wie sie es verlassen hatte. Sie führte ihre Karte durch den Magnetleser und öffnete die Tür.
Zunächst glaubte sie, es sei nichts angerührt worden, dann entdeckte sie jedoch, dass ihr Laptop weg war. Sie ging zum Schreibtisch und setzte sich. Die Papiere lagen wild darauf verstreut. So sah es eigentlich immer aus, weshalb sich unmöglich feststellen ließ, ob jemand darin herumgewühlt hatte oder nicht. Aber mitten in all dem Chaos hatte sie stets einen Platz für ihr MacBook freigeschaufelt, der jetzt leer war. Verdammter Mist!
Höchstwahrscheinlich schützte das Passwort die vertraulichen Angaben, die sich darauf befanden. Es handelte sich dabei zwar nicht um größere Geheimnisse, aber alle Materialien in Verbindung mit der Arbeit am Rechtsmedizinischen Institut waren vertraulich. In erster Linie, um Angehörige und Opfer davor zu schützen, dass unschöne Bilder oder heikle Details bei den Medien oder auf irgendeiner Homepage landeten. Ebenso Informationen, die für laufende Ermittlungen von Bedeutung waren, wie beispielsweise Obduktionsberichte in Verbindung mit Mordfällen.
Sie starrte aus dem Fenster und dachte, dass sie sich wahrscheinlich eine Verwarnung
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