Verleumdung
wollte, als in Firaz’ System zu sein, war aufgestanden, hatte ihm das Handy aus der Hand gerissen und hastig gesagt, dass er sich keine Hoffnung machen solle. Doch Firaz hatte ihm nur fröhlich zum Abschied gewinkt, als könne er kein Wässerchen trüben.
Als Jonas das Café verließ, in sicherem Abstand draußen vorbeilief und durch die Fensterscheibe hineinsah, saß der Dolmetscher noch immer am Tisch und aß das Schokoladenstückchen, das Jonas neben seinem Kaffee hatte liegen lassen. Er sah auf, bemerkte Jonas’ Blick und machte grinsend das Victory-Zeichen. Jonas wollte nur noch so schnell wie möglich nach Virum zurückfahren.
Auf seiner Fahrt nach Hause hatte sich dann allmählich seine Zufriedenheit darüber eingestellt, wie entschieden er das Angebot des Dolmetschers abgelehnt hatte. Und er freute sich darauf, seine Fortschritte mit Lex zu teilen. Allein die Tatsache, dass er dem Mann gegenübergesessen und die Ruhe bewahrt hatte, war eine ziemliche Leistung, wenn man bedachte, in welch desolater Verfassung er Anfang des Jahres noch gewesen war. Er hatte sich keine Nachrichten aus Afghanistan oder von anderen Kriegsschauplätzen ansehen können, ohne sich nicht hinterher eine Stunde lang im Badezimmer einschließen zu müssen.
Die Dämmerung war längst hereingebrochen, als er in die Einfahrt bog. Lex stand in der Küche und räumte gerade die Spülmaschine aus. Wegen des Geschirrgeklappers hörte sie ihn nicht gleich, und so konnte er einen Moment lang in der Tür verharren und seine Frau betrachten. Wie immer war sie tadellos gekleidet, und wie immer trug sie schwarz. Das hellblonde Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der lässig aussah, sie aber garantiert viel Zeit gekostet hatte. Denn Lex überließ nichts dem Zufall, schon gar nicht, wenn es um ihr Aussehen ging. In diesem Moment war ihr Gesicht ernst, und plötzlich schien ihm, als wäre sie noch blasser als sonst. Der Schönheitsfleck unter ihrem Auge hob sich dunkel von der weißen Haut ab.
Er räusperte sich, und sie fuhr bei dem Geräusch zusammen.
»Da bist du ja. Hast du denn gar nicht mitbekommen, dass ich angerufen habe? Warst du wieder im Fitness-Studio?«
Plötzlich fiel ihm auf, wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, immer von ihm enttäuscht zu werden. Er schüttelte den Kopf und überreichte ihr die Rosen, die er hinter seinem Rücken versteckt hatte.
»Alles Gute zum Hochzeitstag, mein Schatz. Du errätst nie, wen ich gerade getroffen habe.«
Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Irak hatte er ihr viel über den Dolmetscher erzählt, und zweifelsohne hatte auch sie ihn so weit wie möglich aus ihrem Leben verbannt. Er war einer von Jonas’ schlimmsten Plagegeistern. Trotzdem schien sie nicht ganz zufrieden damit zu sein, dass er Firaz so einfach abgewiesen hatte. Sie wirkte eher ungeduldig, vielleicht sogar enttäuscht darüber, dass er sich als schwächer erwiesen hatte, als sie dachte. Nicht der Mann war, den sie verdient hatte.
»Aber Jonas, jetzt erklär mir doch erst mal, was genau er von dir wollte. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du mir von den Sachen erzählt hast, die er verkauft.«
Jonas wurde von einem Klopfen aus seinen Gedanken gerissen. Schon wieder hatte er in seinem Auto gesessen und war in Erinnerungen darüber versunken, was vor fast drei Jahren geschehen war, als das Ganze ernst wurde. Das passierte immer, wenn er sich unter Druck gesetzt fühlte.
Er hob den Kopf, und als es ihm endlich gelang, wieder klar zu sehen, blickte er direkt in die Augen eines ungefähr sechsjährigen Jungen, der seine Nase am Seitenfenster plattdrückte. Das Glas hatte bereits Schlieren von seinem Rotz, und das Geräusch stammte von einem dreckigen Stöckchen, mit dem er gegen den Wagen klopfte. Jonas überlegte kurz, ob er einfach losfahren sollte, ließ dann aber doch das Fenster herunter. Er hatte keine Lust, sein Gewissen mit einem weiteren Unglück zu belasten.
»Du solltest lieber mal ein Stückchen zur Seite gehen, ich fahre jetzt.«
Der Junge runzelte die Stirn und zeigte mit seinem schmutzigen Finger unter das Auto.
»Hast du schon gemerkt, dass ein toter Hund unter deinem Auto liegt?«
5
A n diesen Knochen ist nicht mehr besonders viel dran.«
Linnea überhörte den Kommentar und sah nicht auf. Sie hatte konzentriert ihre Arbeit am Skelett aufgenommen. Unter optimalen Bedingungen hätte sie zunächst eine elektronische Karte vom Fundort erstellt, damit sie all ihre Funde für den
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