Verleumdung
Sekunden aufgeklärt haben. Und weißt du was: Du bist der Mörder!«
Linnea schritt mit erhobenem Kopf an den Männern vorbei und ging zielstrebig auf eine Stelle zu, an der gerade frisch gegraben worden war, wie sie schon von weitem erkennen konnte. Sie ignorierte das Geschwätz und das gedämpfte Lachen der Männer. Das erlebte sie nicht zum ersten Mal. Sie hatte sich fast schon daran gewöhnt, obwohl sie sich manchmal fragte, wann sie ihren Sensationswert endlich verlieren würde. Ihr Problem bestand darin, dass sie hoffnungslos überqualifiziert war. Obwohl man ihr das im Vorstellungsgespräch nicht so direkt gesagt hatte, sondern nur der leise Zweifel darüber geäußert wurde, ob sie die Richtige für die Stelle sei. Doch Professor Morewski, der höchste Chef, hatte sich für sie eingesetzt und ihre Einstellung fast schon mit Macht durchgedrückt, als nach seiner Bypass-Operation in aller Eile eine Krankheitsvertretung gefunden werden musste. Die anderen Mitglieder der Einstellungskommission am Rechtsmedizinischen Institut hatten eigentlich nach einem normalen Rechtsmediziner oder Pathologen gesucht, der auf Osteologie spezialisiert war, doch es war ihnen schwergefallen, ihre Qualifikationen von der Hand zu weisen, auch wenn sie keine Medizinerin im traditionellen Sinne war. Sie hatte Osteologie und Archäologie an der Standford University in Kalifornien studiert und dort ihren Bachelor in Physischer Anthropologie gemacht. Anschließend hatte sie drei Jahre lang Forensische Anthropologie an der University of Oklahoma studiert, wo der berühmte Clyde Snow noch immer Vorlesungen über die Rolle der Rechtswissenschaft bei der Aufklärung mysteriöser Kriminalfälle hielt. Sieben Jahre hatte sie an den angesehensten Universitäten der USA studiert und anschließend genauso viele Jahre praktische Berufserfahrung als forensische Anthropologin gesammelt.
Ihr Spezialgebiet war das menschliche Skelett, und sie konnte anhand von Knochen Schlüsse ziehen, zu denen selbst die besten Rechtsmediziner nicht imstande waren. Ihr bisheriges Einsatzgebiet umfasste Mordfälle und Massengräber von New York bis Ruanda. Eine skelettierte Leiche in einem dänischen Wald war eine Lappalie für sie.
*
Jonas konnte sich ausgezeichnet an Firaz’ Geschäfte erinnern. Er hatte damals selbst eine Kleinigkeit für Lex gekauft. Mehrere Monate lang hatte er sich vorgestellt, wie er ihr nach seinem Einsatz im Irak das Geschenk überreichen würde, und dann hätten sie Champagner trinken und neue Pläne schmieden können. Sie bezeichneten sich selbst als »das dynamische Duo«. Gemeinsam konnten sie Phantastisches erreichen. Sie ergänzten einander, er mit seinem Ehrgeiz und seiner Ausdauer, sie mit ihren vielen Kontakten und ihrer Willenskraft. Doch seine Heimkehr verlief anders als erwartet. Verhöre, sowohl zu Hause als auch in den Räumen des Militärs im Kopenhagener Kastellet, schlaflose Nächte – und Lex, die nicht dazu in der Lage war, ihre Enttäuschung über ihn zu verbergen. Und so lag sein Geschenk noch immer zu Hause in irgendeiner Schublade. Der Moment der Übergabe war längst verpasst.
»Aber warum ausgerechnet ich?«
Firaz machte eine ausladende Geste, bei der eine protzige goldene Uhr an seinem Handgelenk zum Vorschein kam. Anscheinend waren seine Geschäfte bereits gut angelaufen.
»Sieh dich doch mal an, my man. Du bist der anständigste Däne, den ich je gesehen habe. Ordentlich gekämmtes Haar, ordentliche blaue Augen und ein ordentliches Poloshirt. Vertrauenswürdiger kann man gar nicht aussehen. Na ja, und außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass du weißt, wie man Befehle ausführt – und dass du Geld gebrauchen kannst, natürlich. Andererseits: Wer kann eine halbe Million zusätzlich im Jahr nicht gebrauchen?«
Jonas hatte nein gesagt. Was sonst. Nie zuvor hatte sein Körper so hartnäckig auf etwas beharrt wie auf dem Gefühl, dass er diesen Ort verlassen musste und Firaz Khalid am liebsten nie wieder begegnen würde. Doch der Dolmetscher hatte nicht so schnell aufgegeben. Er war sogar so unverschämt gewesen, sich Jonas’ Handy zu schnappen, das zusammen mit dem Autoschlüssel auf dem Tisch lag, und seine Nummer einzuspeichern, woraufhin er sich selbst von Jonas’ Telefon aus anrief.
»Jetzt bin ich in deinem System und du in meinem. So können wir uns immer erreichen, falls wir es uns anders überlegen. Das ist doch schön zu wissen, oder etwa nicht?«
Jonas, dem kaum etwas einfiel, was er weniger
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