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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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jedes einzelne Stück mit einem weichen Tuch. Sie waren die einzigen Familienangehörigen und mit dieser Tatsache beide recht zufrieden.
    Doch nun mussten sie sich wieder trennen. Mit einem Seufzer kramte Peggy-Lee Wu ihr iPhone aus dem Rucksack und warf einen Blick in ihre E-Mails. In der Zwischenzeit waren zwei neue Anweisungen eingegangen, und es war höchste Zeit, die Alte mit ihrer Flasche allein zu lassen. Sie leerte ihr Glas und steckte die Waffe mit routinierten Bewegungen zusammen. Dann stand sie auf und drückte ihrer Großmutter einen Abschiedskuss auf die trockene Wange.

Mittwoch, 7. Juli

12
     
    D ie meisten hätten sie vermutlich um ihre Wohnung in der Knabrostræde beneidet. Allein schon wegen der Lage. Sie befand sich mitten im ältesten Teil des historischen Kopenhagens, wo man immer noch erkennen konnte, wie die Stadt im 18. Jahrhundert oder noch früher einmal ausgesehen hatte. Wenn Linnea über ihre hohe, schiefe Türschwelle hinaus auf das Kopfsteinpflaster trat, hatte sie auf der einen Seite die Kompagnistræde mit all den Cafés und schönen Läden, auf der anderen Seite blickte sie direkt auf den Slotsholmen Kanal, das Thorvaldsen-Museum und den Parlamentssitz Schloss Christiansborg. Mitten in der Stadt und doch eine friedliche Oase, in der die alten, niedrigen Häuschen mit ihren charmanten Hinterhöfen Seite an Seite lagen. Und die Wohnung selbst stand ihrer luxuriösen Lage in nichts nach. Eine Fünfzimmerwohnung unter dem Dach im schmalsten Haus der Straße, die vor knapp zehn Jahren behutsam instand gesetzt worden war.
    Doch wenn Linnea ihren Blick durch ihr Wohnzimmer schweifen ließ, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass ihr Zuhause kaum wie eine schicke Wohnung aussah, die sich trotz Immobilienkrise nur die wenigsten hätten leisten können. Die gähnende Leere an den Wänden ließ die Räume unbewohnt aussehen, und ohne die vielen unausgepackten Umzugskartons dazwischen hätten ihre spärlichen Möbel verloren gewirkt. Die Kartons vermittelten immerhin den Eindruck von nicht genutztem, aber doch vorhandenem Potential. Sie wohnte nun schon seit eineinhalb Jahren in Kopenhagen – also genau eineinhalb Jahre länger, als sie geplant hatte. Und darüber hinaus der längste Zeitraum, den sie in Dänemark gelebt hatte, seit sie hier auf das Gymnasium gegangen war. Dennoch hatte sie bisher nicht den geringsten Versuch unternommen, sich einzuleben und ihre Wohnung einzurichten. Sie verschanzte sich fast ausschließlich in einem Raum, in dem sie auch schlief, und betrat die übrigen Zimmer fast nie.
    »Ein anderes Mal«, versprach sie sich selbst immer wieder. »Wenn ich mehr Zeit habe.«
    Sie vermied es, zu sehr darüber nachzudenken, wie oft sie sich genau das schon gesagt hatte und wie unglaubwürdig ihr Vorsatz war. Stattdessen stürzte sie sich auf einen weiteren Umzugskarton, um einen Blazer zu suchen. Zu einem Teil enthielten die Kartons eine gründliche Mischung aus Kleinigkeiten, die sie sich nach langem Zögern aus den USA hatte schicken lassen. Ihre übrigen Sachen waren nach wie vor dort eingelagert, weil sie ja immer noch nicht richtig nach Dänemark gezogen war. Der andere Teil der Kartons beinhaltete den Nachlass des Vaters, den man ihr geschickt hatte. Sie hatte bisher keine Lust gehabt, sich das Geerbte anzusehen, obwohl seit seinem Tod mittlerweile fast ein Jahr vergangen war.
    Endlich fand sie, wonach sie suchte, ging zurück ins Schlafzimmer und stellte sich vor den Spiegel. Eigentlich war ihr das eigene Aussehen nicht sonderlich wichtig. Jedenfalls nicht vor sich selbst. Aber sie war es gewöhnt, darüber nachzudenken, welche Signale sie aussandte. Teils von den vielen repräsentativen Arrangements aus der Kindheit, die der Vater für seine Kontakte organisierte und bei denen auch die Hausfrau und die hübsche Tochter als Teil der geordneten Familie auftreten mussten, teils von dem etwas strengeren Dresscode, der an den Universitäten an der amerikanischen Ostküste herrschte. Dort legte man einerseits Wert darauf, sich vom europäischen Vorbild zu distanzieren, schien andererseits aber schon fast übertrieben darum bemüht, noch steifer und formeller zu sein.
    Und in diesem Moment hatte sie das starke Bedürfnis, sich selbst etwas aufzupeppen. Heute Morgen war sie mit Speichel im Mundwinkel und roten Furchen im Gesicht aufgewacht, begleitet von einem irritierenden Kopfschmerz, der sie daran erinnerte, warum sie ursprünglich mit dem Rauchen aufgehört hatte. Verwirrt

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