Verleumdung
hatte sie sich am Schreibtisch aufgesetzt und erkannt, dass sie das Panum Institut gar nicht erst verlassen hatte. Dann hatte sie eine Tasse kalten Kaffee getrunken und sich um den Abschluss von Cranio Construct gekümmert, noch ehe die anderen zur Arbeit kamen. Denn alles musste bis zu dem Meeting fertig sein, das sie bereits am Tag zuvor voller Überschwang einberufen hatte. Anschließend war sie in Windeseile nach Hause gedüst, um noch zu duschen, zu frühstücken und etwas Passendes zum Anziehen zu finden.
Jetzt blieb ihr noch eine Stunde, bis sie wieder in der Abteilung für Forensische Anthropologie sein musste, und sie ließ sich müde auf eine Ecke der Matratze sinken. An den dunklen Ringen unter ihren Augen ließ sich nichts ändern. Die würden erst nach einem guten, langen Schlaf verschwinden, und dafür blieb jetzt keine Zeit.
*
Zu seiner eigenen Überraschung hatte Jonas letztlich mit dem irakischen Dolmetscher eine Vereinbarung getroffen, mit der er recht zufrieden war. Jonas vertraute Firaz Khalid zwar nie restlos, aber er dachte nur selten darüber nach, ob dieser im Rahmen des Gesetzes handelte. In gewisser Weise hatte Jonas das Gefühl, dass er den Wohlstand aus den gemeinsamen Geschäften tatsächlich verdiente.
Im ersten halben Jahr erlebte er auch eine deutliche Verbesserung in seiner Beziehung zu Lex. Sie wirkte glücklicher, behandelte ihn liebevoller, und sie engagierte sich sehr für das neue Geschäft. Erkundigte sich neugierig über alles, wollte genau wissen, wer die Partner und Kunden waren, welche Gegenstände das meiste Geld einbrachten und andere Details dieser Art. Jonas war glücklich darüber, sein Leben wieder mit ihr teilen zu können, sie verwöhnen zu dürfen und vor allem: wieder zu merken, dass sie ein Team waren, das den Kampf mit dem Rest der Welt aufnehmen konnte. Genau wie früher. Er stellte sich vor, dass sie sich in ein paar Jahren aus dem Geschäft zurückziehen konnten, wenn sie genug verdient hatten, um das neue Haus abzuzahlen. Nur durch einen Zufall erfuhr er irgendwann, dass Lex ganz andere Pläne hatte.
Sie hatten zusammen auf dem Sofa ihres neu eingerichteten Wohnzimmers in Virum gesessen. Die Renovierung war gerade abgeschlossen, und der Geruch der frischen Farbe hing noch überall im Haus. Jonas blätterte in einem Reisemagazin mit einer Reportage über Dänen, die in skandinavischen Ferienkolonien in Südeuropa wohnten. Er hatte ein paar Gläser Rotwein intus und fühlte sich so ausgelassen und verliebt, wie er es seit der Zeit vor dem Irak nicht mehr erlebt hatte. Er legte den Arm um Lex’ Schultern, zog sie an sich und zupfte an ihrem Ohrläppchen. Sie lächelte ihn an.
»Lex, mein Schatz, was meinst du, wie lange wird es dauern, bis wir beide einfach so abhauen und in den Süden ziehen können? In ein paar Jahren haben wir bestimmt genug Geld für eine kleine Wohnung zusammen, und ein Taschengeld, mit dem wir über die Runden kommen, bis wir irgendwann wieder Lust zum Arbeiten haben. Meinst du nicht?«
Sie befreite sich aus seiner Umarmung und sah ihn mit gerunzelter Stirn ernst an.
»Ich denke, wir sollten aufpassen und uns nicht zu sehr zurücklehnen, Jonas. Für den Anfang war das ja ganz nett, aber ich finde, jetzt ist es an der Zeit, dass wir ein bisschen mehr in den Vordergrund treten.«
Jonas fühlte sich überrumpelt.
»Was meinst du damit? Wir verdienen doch besser als je zuvor. Ich dachte, du wärst glücklich.«
Sie strich sich das Haar hinters Ohr, eine typische Geste, wenn sie ihm erklären wollte, wie die Dinge wirklich zusammenhingen.
»Aber Jonas. Mir fällt es natürlich schwer, zufrieden zu sein, wenn ich mit ansehen muss, wie du dich abspeisen lässt. Denn schließlich bist du derjenige, der das ganze Risiko trägt. Und wie hoch ist dein lächerlicher Anteil bitte schön noch mal genau? Ohne dich wäre Firaz doch aufgeschmissen! Er heimst den ganzen Profit ein, ohne dabei auch nur einen Finger zu krümmen. Damit die Verteilung einigermaßen gerecht wäre, müsstet du mindestens die Hälfte kriegen, wenn nicht mehr. In Wirklichkeit könnten wir die ganze Sache sogar viel besser ohne ihn abwickeln, wenn wir einen direkten Kontakt zu seinem Lieferanten hätten.«
Jonas sah Lex erschrocken an. Er kannte diesen Tonfall genau, und er konnte heraushören, dass ihr diese Idee nicht erst heute gekommen war.
»Er würde die Sache doch nie aus der Hand geben. Dazu ist das Geschäft viel zu lukrativ.«
»Deshalb müssen wir das
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