Verleumdung
erzählte man sich, dass er der Einzige war, der eine Flasche Bollinger herbeizaubern und spontan ein Fest auf die Beine stellen konnte – selbst da, wo alles andere zerstört war.
»Es gibt da jemanden, den du unbedingt kennenlernen solltest«, sagte der UN-Offizier zu Kevin Love. »Er heißt Khalid. Ich glaube, er ist an ziemlich interessanten Geschäften dran.«
Erst danach begrüßte er ihn und den amerikanischen Lieutenant richtig. Sie gaben sich die Hand, und nach einem abschließenden Klaps auf die Schulter des Amerikaners folgte Kevin Love dem UN-Offizier.
»Ist es ein Einheimischer?«, fragte er. »Jemand, den du kennst?«
Der andere nickte.
»Geschäftstüchtig und rücksichtslos. Ein Mann genau nach deinem Geschmack.«
*
Eigentlich hatte der Tag doch so vielversprechend begonnen. Der Donnerstag war Linneas einziger freier Tag vor der Wochenendschicht. Obwohl die Hitze in dem Zimmer mit den niedrigen Decken bereits jetzt am Vormittag unerträglich wurde, hatte sie noch in ihr Laken gewickelt im Bett gelegen, als ihr Festnetztelefon klingelte. Anfangs verstand sie kaum, worum es bei dem Gespräch eigentlich ging.
»Ich bin mir sicher, dass er es ist. Er ist keiner, den man so schnell vergisst.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Linnea. »Sie rufen vom Roten Kreuz aus an?«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still.
»Vielleicht war ich etwas zu voreilig«, erklärte der Anrufer schließlich.
Diesmal verstand sie immerhin, dass der Anrufer Adam hieß. Sie war sich nicht ganz sicher, ob das sein Vor- oder Nachname war. Er war Polizeibeamter und arbeitete bei der Einwanderungsbehörde der Polizei im Asylcenter Avnstrup, das vom Roten Kreuz betrieben wurde. Sie überlegte kurz, wo Avnstrup eigentlich lag. Doch noch bevor sie ihn danach fragen und herausfinden konnte, warum er ausgerechnet bei ihr anrief, redete er auch schon weiter: »An seinen Namen kann ich mich nicht erinnern. Aber ich kann ihn sicher herausfinden, wenn es wichtig ist. Es muss schon ein paar Jahre her sein, damals war ich noch in der Sjælsmark-Kaserne. Aber ich glaube, er ist es.«
Linnea zog das Laken zur Seite und stieg verwirrt aus dem Bett, während sie weitertelefonierte. Sie ging in die Küche und holte sich ein Glas Wasser.
»Ich kann nicht ganz folgen, von wem reden Sie eigentlich die ganze Zeit?«
Er hielt kurz inne.
»Ich spreche doch mit Linnea Kirkegaard, oder etwa nicht?«
Sie bejahte, und er fuhr sofort in dem gleichen, eifrigen Ton fort.
»Ich meine den, den Sie suchen. Den Toten. Nicht, dass ich mich an alle erinnern könnte, aber genau an ihn hier erinnere ich mich ziemlich deutlich. Ich war bei seiner Registrierung dabei, als er mit den anderen zusammen in Sjælsmark ankam. Sie waren ja in einer streng geheimen Aktion aus dem Irak evakuiert worden. Anschließend wurde er gemeinsam mit ein paar anderen in irgendeiner Jugendherberge einquartiert, während sie darauf warteten, dass die Einwanderungsbehörde ihre Asylanträge bearbeitete. Die Unterkunft war nur eine Notlösung, weil in den Auffanglagern ja extremer Platzmangel herrschte.«
»Ich verstehe immer noch nicht ganz …«, setzte Linnea an, während er unbeirrt weiterredete.
»Er hatte keine Bartstoppeln, so wie auf dem Foto. Da bin ich mir sicher. Auf solche Dinge achtete er immer ganz genau. Er legte großen Wert auf sein Äußeres, sogar hier im Lager, wo das die Leute normalerweise nicht gerade am meisten interessiert.«
»Warten Sie mal«, warf Linnea ein und massierte ihre Schläfen, um nicht schon wieder Kopfschmerzen zu bekommen. »Es ist wahnsinnig interessant, was Sie da erzählen, aber ich verstehe nicht ganz, warum Sie bei mir anrufen. Warum sprechen Sie nicht mit der Mordkommission?«
Sie kramte einen Bleistift hervor und kritzelte seinen Namen auf den Deckel eines Umzugskartons, solange sie ihn noch im Gedächtnis hatte.
»Ich dachte, Sie leiten die Ermittlungen? Den Eindruck hatte ich jedenfalls nach diesem Zeitungsartikel!«
Linnea spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. Sie hatte das Telefonat mit Adam beendet, nachdem sie ihn gebeten hatte, auf dem Polizeirevier anzurufen und Richard Bodilsen oder jemand anderen aus der Mordkommission zu verlangen. Anschließend war sie wieder ins Wohnzimmer geeilt. Jetzt klappte sie ihr MacBook auf und ging zurück ins Schlafzimmer, um das Laken zu holen und sich darin einzuhüllen.
Dann ging sie direkt auf die Internetseite von Politiken , konnte dort aber nichts von
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