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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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sollte, an dem sie keine Schuld traf, war schlimm genug. Aber nicht so schlimm wie die Tatsache, dass es jemand vom Politigården sein musste, der die Geschichte in die Welt gesetzt hatte. Und ihr fiel mindestens ein Kandidat ein.
    15
     
    J onas war bereits um fünf Uhr morgens aufgestanden, erschöpft vom Schlafmangel und gezeichnet von den grausigen Alpträumen, die ihn heimgesucht hatten, kaum dass er eingeschlafen war. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem schreienden irakischen Jungen zurück. Doch in seinen Träumen war es nicht Hauptmann Overbye, der das Geschehen lenkte, sondern Firaz, der mit einem Grinsen auf den Lippen immer tiefer in den rechten Zeigefinger des Jungen schnitt, bis das Blut nur so floss. Als der Finger schließlich lediglich an einem dünnen Hautfetzen hing, wandte Firaz sich Jonas zu und reichte ihm lächelnd das große Jagdmesser.
    »Möchtest du nicht die Ehre haben, my man?«
    Im Traum nahm Jonas das Messer entgegen, wandte sich aber von dem Jungen ab und stach stattdessen auf den Dolmetscher ein, auf seine Wange, ins linke Auge, in den Mund. Wieder und wieder stach er zu, um das höhnische Grinsen aus diesem verdammten Gesicht auszulöschen, während ihn seine Kameraden anfeuerten. Es war stets die gleiche Szene, der er erst entkam, wenn er sich zwang, aus dem Bett aufzustehen.
    Er hatte das Bedürfnis gehabt, etwas Alltägliches zu unternehmen, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Er hatte den schönen Sommermorgen und den Spaziergang durch die leeren Straßen seines Viertels genossen. Hier konnte er sich fast der Illusion hingeben, er wäre ein ganz normaler Mann auf dem Weg zum Bäcker, um dort ein paar Brötchen und eine Zeitung zu kaufen. Im Grunde war es logisch, dass seine Gedanken immer um diesen einen schicksalsschweren Tag in Basra kreisten. Alles, was seither geschehen war, alle Entscheidungen, die er getroffen hatte, und die verzweifelte Situation, in der er sich jetzt befand, waren auf jenen Tag zurückzuführen, als bei einem routinemäßigen Verhör alle Grenzen überschritten wurden.
    Aber das war eine andere Welt, fernab von Virums beschaulichen Wohngebieten. Als Jonas beim Bäcker ankam, fühlte er sich ganz normal, ja, er konnte sogar über seine eigenen paranoiden Vorstellungen lächeln. Wahrscheinlich war es kein Wunder, dass seine Phantasie einem Hollywood-Gangsterfilm glich, wenn er fast ununterbrochen an diesen brütend heißen Tag im Camp Dannevang zurückdachte. Er musste dafür sorgen, mehr im Hier und Jetzt zu leben. Mit einem Mal erschien es ihm lächerlich, inmitten von Vogelgezwitscher, Blumenduft und Morgensonne an Mord und Totschlag zu denken. Er öffnete die Ladentür, schenkte der jungen Verkäuferin hinter dem Tresen ein breites Lächeln und genoss ihren anerkennenden Blick. Erst als er direkt vor dem Tresen stand, bemerkte er das Gesicht, das ihm von den Zeitungsseiten entgegenstarrte.
    Beide Boulevardblätter brachten dasselbe Bild auf der Titelseite. Ein Farbfoto von einem orientalisch aussehenden Mann, den Jonas sofort als Firaz wiedererkannte. Irgendetwas an dem Bild stimmte nicht ganz, aber Jonas konnte es nicht benennen. Die großen Lettern beseitigten auch den letzten Zweifel. »Das ist der Tote!«, titelte die eine Zeitung marktschreierisch und fragte in der Unterzeile: »Wer kennt diesen Mann?« Die andere Zeitung schrieb: »Wer ist das? Das Skelett hat ein Gesicht bekommen.«
    Jonas merkte, wie er langsam erstarrte. Er machte dicht, verließ seinen eigenen Körper, so dass er sich selbst von außen betrachten konnte. Er musste einfach nur weg von hier, weg von diesem Gesicht – und gleichzeitig musste er herausfinden, wie viel die Polizei wusste.
    Das Gesicht des jungen Mädchens hinter dem Tresen hatte sich zunehmend verkrampft, während er wie gelähmt dastand. Plötzlich fiel ihm auf, dass er merkwürdige, winselnde Laute von sich gab. Er kämpfte sich in seinen Körper zurück, näherte sich widerwillig den Zeitungen, nahm sich zwei davon und faltete sie so zusammen, dass nur die Rückseite zu sehen war. Dann kramte er einen großen Schein aus der Hosentasche, warf ihn auf den Tresen und stolperte aus dem Laden.
    Er rannte nach Hause, ja er sprintete, und versuchte gar nicht erst den Anschein zu erwecken, als laufe er aus Gründen der Fitness. Nachdem er sich hinter der Tür in Sicherheit gebracht hatte, brach er zusammen. Er drehte den Schlüssel ein weiteres Mal von innen im Schloss um. Dann saß er mehrere Minuten lang

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