Verleumdung
Interesse finden. Als sie gerade zur Seite des Dänischen Rundfunks wechseln wollte, kam ihr eine andere Idee und sie googelte ihren Namen. Der Knoten in ihrem Magen wurde sofort größer, als sie auf den ersten Treffer klickte. Hin und wieder googelte sie sich selbst aus reiner Eitelkeit. Natürlich tauchten zahlreiche Verweise zu wissenschaftlichen Artikeln und Konferenzen auf, an denen sie teilgenommen hatte. Jetzt allerdings führte der erste Treffer direkt zu Ekstrabladet.dk . Die Überschrift war erstaunlich sachlich für eine Boulevardzeitung: »Polizei identifiziert Skelett«, und der größte Teil des Artikels, den sie hastig überflog, hielt sich an die Fakten: Der Journalist beschrieb den Fund der skelettierten Leiche im Lammefjord und berichtete, die Polizei habe auf einer Pressekonferenz am gestrigen Nachmittag ein rekonstruiertes Foto des vermeintlichen Opfers veröffentlicht und fordere nun alle Zeugen, die Hinweise über die Person auf dem Bild geben konnten, auf, sich bei der Polizei zu melden.
Doch es gab auch einen ergänzenden Artikel, der von Linnea handelte. Oder besser gesagt, vorgab, von ihr zu handeln, denn es stand nicht viel darin, was der Wahrheit entsprach. Sie hatte keine Ahnung, woher der Journalist sein Wissen nahm, aber er hatte auf jeden Fall herausgefunden, dass sie für die Rekonstruktion verantwortlich zeichnete. Zudem wurden ihre Ausbildung und ihr beruflicher Hintergrund erwähnt, den man leicht im Internet recherchieren konnte. Aber der Journalist hatte sich zusätzlich auch dazu berufen gefühlt, die Fakten weiterzudichten, und schwärmte von ihr als einer genialen Knochendoktorin, die auf geradezu magische Weise alles über einen Toten herausfinden könne, allein indem sie sein Skelett studierte. Sie sei die neue Geheimwaffe der dänischen Polizei. Wie die smarte, hartgesottene Heldin einer neuen Krimiserie im Fernsehen wurde sie in dem Artikel beschrieben. Von einer solchen hatte sich der Journalist allem Anschein nach auch inspirieren lassen, denn vieles an der Geschichte war reine Fiktion.
Sie ging unter die Dusche und zog sich anschließend rasch irgendetwas über. Erst danach warf sie einen Blick auf ihren Blackberry und entdeckte, dass außer Adam noch unzählige andere versucht hatten, sie zu erreichen. Sie hatte das Gerät auf lautlos gestellt, als sie sich gestern Abend hingelegt hatte. Die Idee, ihre Mailbox abzuhören, verwarf sie sofort wieder. Sie hatte kein Bedürfnis, den Journalisten bei ihrer Jagd nach einer Story behilflich zu sein. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Svend-Erik Nikolajsen anzurufen, weil er der stellvertretende Chef war, während Professor Morewski seine fünfwöchigen Sommerferien genoss. Morewski hätte die Geschichte auf der Stelle dementiert. Aus irgendeinem Grund hatte er sofort die Rolle ihres Beschützers eingenommen. Eigentlich hatte sie das nie für nötig gehalten oder sich gewünscht, wenngleich es niedlich war, dass er das glaubte. Nikolajsen war dagegen nicht ganz so umgänglich.
»Sämtlicher Kontakt zur Presse läuft über mich«, sagte er zu ihr. »Ich war davon ausgegangen, dass Sie das wüssten.«
»Sie glauben doch wohl nicht, ich hätte Ekstra Bladet kontaktiert?«
»›Dank ihrer Expertin Linnea Kirkegaard steht die Polizei vor einem Durchbruch.‹ Ich kann mir nicht vorstellen, wer daran sonst noch ein Interesse gehabt haben könnte.«
Linnea schnaubte.
»Wer außer mir, meinen Sie? Hätte ich dann nicht wenigstens dafür gesorgt, dass alles, was sie über mich schreiben, wenn schon nicht korrekt, dann doch wenigstens wahrscheinlich ist? Da steht, man hätte mich vom FBI abgeworben!«
Das Letzte war die absurdeste Behauptung in dem Artikel. Aber sie bewies immerhin, dass der Journalist seine Informationen aus dem Internet geholt – und auch noch falsch verstanden – und mit niemandem gesprochen hatte, der sie tatsächlich kannte. Zuletzt akzeptierte Nikolajsen widerwillig, dass der Artikel nicht auf ihrem Mist gewachsen sein konnte. Sie einigten sich darauf, dass es die beste Strategie zur Vermeidung eines schlechten Arbeitsklimas zwischen dem Rechtsmedizinischen Institut und der Polizei wäre, wenn sie persönlich zum Politigården fahren und die Sache aufklären würde. Linnea hatte schwach protestiert. Sie hatte eine ungute Vermutung, an wen sie ihre Entschuldigung richten musste, wusste aber gleichzeitig, dass es keinen Zweck hatte, sich zu weigern. Die Tatsache, dass sie sich für etwas entschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher