Verleumdung
nicht richtig ein. Sie kam sich wie ein Paradiesvogel vor, und die anderen Kinder sagten ihr ständig, wie merkwürdig sie Dänisch spreche.
Erst als Linnea in die Oberstufe kam, beschlossen Linneas Eltern erneut, nach Dänemark zu ziehen. Diesmal schien es ihnen wirklich ernst. Sie kauften ein Haus und engagierten eine philippinische Hausangestellte. Linnea protestierte – natürlich erfolglos – mit jenem hartnäckigen Trotz, den nur ein Teenager aufbringen konnte, fing auf dem Øregaard-Gymnasium in Hellerup an und entdeckte zu ihrer großen Überraschung, dass es ihr gut gefiel. Aller Anfang war schwer, aber sie war ausnahmsweise nicht die Einzige, die neu anfing. Bereits nach einem halben Jahr hatte sie dort mehr Freundinnen als an jedem anderen Ort der Welt, an dem sie schon gelebt hatte.
Die neue Kontinuität hielt aber nur bis ein Jahr nach dem Gymnasium an. Sie war in der 13. Klasse von zu Hause ausgezogen und teilte sich nach dem Abitur eine Wohnung mit einer Freundin. Es wurde ein Jahr mit wilden Partys, wechselnden Männerbekanntschaften und einem festen Stammtisch im Jazz House. Doch kaum war sie zu ihrem eigenen Erstaunen in Stanford angenommen worden, hieß es, auf in die USA – ohne jegliche Intention, jemals wieder nach Dänemark zurückzukehren. Abgesehen von ihren fernen Jugendjahren, hatte Linnea also keine Verbindung zu Dänemark mehr. Sie konnte auch weder unter beruflichen noch unter privaten Gesichtspunkten erkennen, was sie hier eigentlich hielt. Und noch dazu befand sie sich jetzt seit eineinhalb Jahren in der Stadt und hatte sich immer noch nicht dazu aufgerafft, in irgendeiner Weise weiterzukommen. Oder wenigstens herauszufinden, was sie eigentlich wollte.
Mit einem Mal bemerkte Linnea, dass sie über eine halbe Stunde dagesessen und nur in die Luft gestarrt haben musste. Sie stand auf, um sich ein Café zu suchen und ein Sandwich zu essen, verharrte dann aber doch kurz vor der Statue des berühmten Philosophen, dessen Name ihrem so ähnlich war. Vermutlich hätte das zu vielen schlechten Witzen Anlass gegeben, hätte sich nicht der Großteil ihrer Karriere im Ausland abgespielt, wo niemand wusste, dass Kirkegaard auf Dänisch Friedhof bedeutete.
Sie holte entschlossen ihr Handy hervor, ging auf die eingegangenen Anrufe, scrollte nach unten und rief die Nummer an. Das Telefon klingelte lange, doch schließlich meldete sich Adam aus dem Asylcenter doch noch.
»Können Sie mir ein Foto von Khalid besorgen?«
»Haben Sie denn nicht gesagt, Sie wären in dieser Sache nicht zuständig? Ich habe das Foto bereits an die Polizei gemailt. An Bodilsen, so hieß der Mann meines Wissens.«
»Dann kann es doch höchstens ein paar Sekunden dauern, es auch an mich zu schicken?«
Er zögerte eine Weile.
»Haben Sie wirklich für das FBI gearbeitet?«, fragte er schließlich.
19
A ls Jonas zum ersten Mal Kevin Loves Stimme hörte, überraschten ihn der vornehme Dialekt und der sanfte Tonfall des Engländers. Im Grunde wusste er nicht, was er sich vorgestellt hatte. Aber seine Vorstellung von einem mörderischen Gangster, der alle seine Gegner kaltmachte, passte nicht recht zu der angenehmen Stimme am Telefon. Andererseits kam man ohne einen gewissen Stil wahrscheinlich nicht so weit nach oben, dachte er, nachdem er aufgelegt hatte.
Er konnte sich noch gut an die Geschichten erinnern, die im Irak über ihn kursierten. Kevin Love war der allgegenwärtige Hintermann, mit dem man es sich nicht verscherzen durfte, wenn man etwas erreichen wollte. An ihm führte kein Weg vorbei, wenn man nicht an Bürokratie, Verzögerungen oder von Explosionen zerstörten Straßen scheitern wollte. Oder wenn man irgendetwas brauchte, was über die üblichen Feldrationen hinausging. Er hatte seine Finger überall dort im Spiel, wo Geld zu holen war. Und jetzt, wo Jonas es wusste, erschien es ihm ziemlich einleuchtend, dass sie die ganze Zeit mit ihm Geschäfte gemacht hatten und Firaz nur ein Mittelsmann gewesen war. Diese neue Erkenntnis machte ihren Plan aber nicht weniger beängstigend. Ganz im Gegenteil.
Jonas hatte mehrere Tage gebraucht, eher er sich getraut hatte, die Nummer anzurufen, die sie in Firaz’ Telefon gefunden hatten. Lex hatte taktisch klug gewartet und ihn nicht unter Druck gesetzt, Love zu kontaktieren. Obwohl sie es nie zugegeben hätte, wusste sie, dass sie eine Grenze überschritten hatte, das spürte er. Aber die Kettenreaktion war angestoßen worden. Und wenn das alles nicht
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