Verleumdung
Augen zu sehen, wertvoll waren.
Ihm fiel auf, dass seine linke Hand erneut die Pistole umklammerte. Lex öffnete die Tür zum Schlafzimmer.
»Hier versteckst du dich also. Ich habe im ganzen Haus nach dir gesucht.«
Jonas stellte verständnislos fest, dass sie beinahe glücklich aussah. Sie lebten wirklich in zwei verschiedenen Welten. Sie setzte sich neben ihn und küsste ihn auf die Wange. Mit einem Mal wurde ihm von ihrem süßlichen Parfum übel.
»Alles lief eigentlich total gut! Ich bin mir sicher, dass wir ihnen noch mehr verkaufen können. Kann sein, dass wir unser kleines zusätzliches Lager bald loswerden müssen.«
Er sah sie mit einem schwachen Lächeln an.
»Wie gut, dass du zufrieden bist.«
Aber an ihr prallte aller Sarkasmus ab. Sie machte ein aufgesetzt ernstes Gesicht und ergriff Jonas’ rechte Hand. Zu der Pistole, die noch immer schwer in seiner linken wog, sagte sie nichts.
»Ja, aber zunächst einmal geht es doch um ein Problem, das wir beide lösen müssen. Ich habe noch mal über unser Gespräch heute Morgen nachgedacht. Und ich glaube, du hast recht, dass Love dich aus dem Weg räumen will. Er hat bezüglich Firaz Verdacht geschöpft, und vielleicht auch wegen unseres kleinen Nebengeschäfts.«
Sie sah nachdenklich in die Luft.
»Obwohl ich einfach nicht verstehe, wie er uns auf die Schliche gekommen sein könnte. Aber er scheint auf jeden Fall ein Mann zu sein, der alle Spuren gründlich beseitigt. Er ist eine Gefahr für dich, Jonas. Du musst etwas unternehmen.«
Jonas spürte die Hoffnung in sich wachsen. Also hatten sie doch eine Wellenlänge, wenn es ernst wurde. Lex war also keine eiskalte Verbrecherin, und er war es auch nicht. Eine ausweglose Lage, für die sie selbst nichts konnten, hatte sie dazu gebracht, unüberlegt zu handeln. Aber noch waren sie nicht so abgestumpft, noch konnten sie das Ganze aufhalten und zu ihren Handlungen stehen. Und dafür war jetzt der Zeitpunkt gekommen. Solange sie noch am Leben waren.
»Du hast recht, Lex«, sagte er leise und drückte ihre Hand. »Wir müssen etwas unternehmen.«
Sie sah ihm in die Augen.
»Gut, dann sind wir uns ja einig. Und Jonas – es ist schön zu sehen, dass du unseren Plan durchführen willst.«
Sie machte eine vielsagende Kopfbewegung in Richtung Pistole.
»Wir sind schon zu weit gegangen, als dass wir jetzt noch aufgeben könnten.«
Sie küsste ihn energisch auf den Mund und stand auf.
»Und ich muss dir einfach sagen, wie sexy du mit einer Pistole in der Hand aussiehst, Schatz.«
Sie sah ihn mit einem merkwürdigen Lächeln an, ehe sie das Zimmer verließ. Es lag eine Zärtlichkeit darin, die er lange nicht an ihr gesehen hatte. Plötzlich merkte er, wie sehr er fror, und ließ sich auf das ordentlich gemachte Bett zurückfallen. Er war so unglaublich müde. Aus der Küche hörte er, wie Lex eine Flasche Wein öffnete und dann zwei Gläser einschenkte. Er lag da und hielt den Atem an, genau wie er es als Kind immer getan hatte. Wenn er nur bis hundert zählte, ohne Luft zu holen, würde sie mit einem Glas hereinkommen und ihn ansehen, ihn richtig wahrnehmen, und verstehen …
Dann hörte er die Kellertür. Er atmete aus, war nicht einmal bis fünfzig gekommen. Er wünschte, sie wäre nicht nach unten gegangen. Nicht jetzt, da alles direkt vor seinen Augen zusammenbrach. Da Firaz’ Leiche irgendwo bei der Polizei lag und wahrscheinlich längst identifiziert worden war. Und Kevin Love sicherlich bereits Pläne schmiedete, wie er seine amateurhaften und gierigen dänischen Handlanger am besten loswurde.
Und nicht zuletzt jetzt, da das schreckgeweitete Gesicht des Dolmetschers Jonas heimsuchte, ganz gleich, wo er war und was er gerade tat.
Freitag, 9. Juli
20
D ie junge Frau, die von Jackson, Mississippi, über Atlanta, Georgia, geflogen war und am Freitagmorgen planmäßig um 8.15 Uhr am Kopenhagener Flughafen Kastrup landete, sah nicht aus wie eine typische amerikanische Rucksacktouristin auf Bildungsreise in Europa. Dennoch erregte sie kein großes Aufsehen. Sie hatte gerade mit ihrer dementen Großmutter ihren achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Ihre zierliche Gestalt und ihre asiatischen Züge ließen sie allerdings eher wie eine junge, unsichere Collegestudentin aussehen, die für ein Auslandssemester an einer naturwissenschaftlichen Fakultät hierherkam.
Falls sie den anderen Passagieren überhaupt auffiel, dann höchstens wegen ihres leichten Reisegepäcks: ein kleiner schwarzer
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