Verleumdung
Jonas.«
Ihre Stimme klang hart.
»Du bist schon wieder dabei, alles aufzugeben. Ich sehe dir doch an, dass du nichts anderes unternommen hast, als rumzusitzen und in die Luft zu starren. Jetzt nehmen wir die Sache gemeinsam in die Hand, okay?«
Und in diesem Moment war sie wieder ganz sie selbst.
»Kümmer du dich um das Frühstück, während ich mich frisch mache, und dann gehen wir alles gemeinsam durch.«
Jonas ging in den Flur hinaus und öffnete die Haustür. Er hatte das Bedürfnis, frische Luft zu schnappen. Der Morgen war so schön, dass es ihn schmerzte. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten, und er rieb sich energisch die Augen. Er war es Lex schuldig, sich zusammenzureißen – und zu überleben. Sie waren ein Team, hatten von Anfang an alles miteinander durchgestanden. Und wenn es eins gab, was Jonas beim Militär gelernt hatte, dann war es der Grundsatz, das eigene Team nie im Stich zu lassen.
Jonas atmete tief durch und schloss die Tür wieder. Dann ging er in die Küche zurück und deckte den Tisch, setzte Kaffeewasser auf und toastete Brot. Ihn machte es merkwürdig glücklich, diese Mahlzeit vorzubereiten, und plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Der Duft von Kaffee und warmem Brot kurbelten seine trägen Sinne an, und er leerte genussvoll einen halbvollen Karton mit Orangensaft. Als Lex zurückkehrte – nun in einem Hosenanzug, der sich eng an ihren schlanken Körper schmiegte, und mit ihrem strengen Pferdeschwanz –, hatte er das Gefühl, sie noch nie schöner gesehen zu haben. Er küsste sie und führte sie zum Tisch, voll kindlichem Stolz über sein Festessen.
Lex sah ihn verwundert an, begann dann aber sofort, ihre Überlegungen vorzutragen. Jonas hörte ihr zu und unterbrach sie nur, um nach der Butterdose oder dem Saft zu verlangen. Hin und wieder machte Lex eine Pause und bedachte ihn mit einem fragenden Blick, aber er nickte ihr nur mit vollem Mund zu, um sie zum Weiterreden zu ermuntern.
Lex erklärte, dass sie nur eine Chance hätten, sich gegen Kevin Love durchzusetzen. Sie mussten darauf spekulieren, dass er sie unterschätzte und er Jonas’ militärische Ausbildung verkannte. Und er des Weiteren nicht voraussah, dass Jonas das eigentliche Ziel ihres Treffens längst ahnte. Es hatte keinen Zweck, einfach fernzubleiben, darin waren sie sich einig. Denn dann würde Jonas zum Freiwild, wohin er auch ging. Der Vorteil an einer Begegnung war, dass sie den Ort und den Zeitpunkt kannten und sich genauso gründlich vorbereiten konnten wie ihr Gegner. Und wenn Jonas dieses Zusammentreffen überlebte, hätten sie Zeit gewonnen, um zu planen, wie sie untertauchen konnten.
»Du kennst ihn ein bisschen aus dem Irak, oder?«
Jonas nickte und spürte, wie Lex’ Eifer ihn allmählich ansteckte. Sie war wirklich eine Klasse für sich. Fast schien es, als übten gerade diese ausweglosen Situationen einen besonderen Reiz auf sie aus.
»Wir kennen die Zeit und den Ort, und Letzteres sogar bis ins kleinste Detail«, schloss Lex schließlich. »Jetzt müssen wir uns einen genauen Überblick über die Gebäude neben dem Lager verschaffen.«
Sie angelte einen Block aus ihrer Mappe. Danach suchte sie das Grundstück mit ihrem gemieteten Lagerraum im Refshalevej bei Google Earth. Wenn man an die Bilder heranzoomte, erhielt man einen guten Überblick über die örtlichen Verhältnisse. Dann fertigte sie eine Skizze von den Gebäuden in der unmittelbaren Nähe an.
»Was wäre das naheliegendste Versteck, wenn man jemanden treffen will, der vor dem Eingang unseres Lagers steht?«
Jonas brauchte nicht lange auf die Zeichnungen zu schauen. Er nahm Lex den Kugelschreiber aus der Hand.
»Hier oben. Das Dach der Werkstatt. Wenn man ein Gewehr hat und ein guter Schütze ist, liegt das ideal. Es ist niedrig, und man kann sich im Liegen hinter dem Mauervorsprung verstecken. Ich schätze mal, er ist so vierzig bis fünfzig Zentimeter hoch. Aber das geht natürlich nur, wenn man aus großer Distanz zielen kann.«
Jetzt lächelte Lex.
»Also müssen wir nur versuchen, ihn zuerst zu erschießen!«
21
E in toter Blick«, murmelte Linnea vor sich hin.
Die Augen waren lediglich leere schwarze Höhlen, und trotzdem verbarg sich tief dort drinnen ein Blick. Wenn sie hineinsah, fröstelte es sie beinahe. Dasselbe galt für den Mund mit den fülligen, sinnlichen Lippen, zwischen denen die Zahnhälse sichtbar wurden und das Gesicht zu einem grotesken Lächeln mit entblößtem Kiefer und
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