Verleumdung
Portionen wieder herunterzuschlucken. Sie würgte und hoffte inständig, dass es diesmal unten bleiben würde.
Peggy-Lee ahnte nicht, wie lange sie unter der Leiche gelegen hatte. Oder ob der Mann schon die ganze Zeit tot gewesen war. Inzwischen war es wieder dunkel. Konnte sie denn wirklich schon einen Tag oder länger hier gelegen haben? Sie hockte neben einem verfallenen Schuppen, der noch immer viel zu nahe am Tatort lag. Noch war sie nicht weit genug von dort weg, um sich sicher zu fühlen. Aber zunächst brauchte sie Kraft, musste sich wenigstens kurz erholen, bevor sie die Jagd nach einem Versteck fortsetzte.
Erst jetzt hatte sie die Ruhe, ihre Verletzungen näher zu untersuchen. Sie konnte sich noch immer nicht daran erinnern, was genau passiert war. Nach und nach fiel es ihr wieder ein, als sie an sich hinuntersah. Ihr linker Arm war blutverschmiert, und jetzt verstand sie auch, warum. Das Schwein hatte sie angeschossen.
Peggy-Lees Beine zitterten noch immer, und sie musste sich anstrengen, damit die Übelkeit nicht erneut in ihr aufstieg. Sie hatte sich blamiert, aber noch war es nicht zu spät, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie durfte nur nicht noch mehr Spuren hinterlassen als die, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach bereits in dem Toilettengebäude übersehen hatte.
Es hatte sie mindestens eine Stunde und ihre letzten Kräfte gekostet, sich von dem großen Mann zu befreien. In dieser Stunde hatte sie mehr persönliche Grenzen überschritten als in den letzten zehn Jahren zusammen, obwohl das wahrlich nicht wenige gewesen waren.
Sie hatte die Leichenstarre durchbrechen müssen, um mehrere Glieder des Toten zu beugen, ehe es ihr mit einer letzten Kraftanstrengung gelungen war, sich unter ihm hervorzudrücken. Seine Arme hatten sie nur widerwillig entlassen wollen. Als sie sich endlich aus der Umklammerung des Toten befreit hatte, hatte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten können.
Sie hatte geflucht und geschluchzt, während sie auf allen vieren durch den stinkenden Raum gekrochen war, bis sie eine Wand erreicht hatte. Dann hatte sie sich zur Tür vorgetastet und sie halb aufgestoßen, um ein wenig Licht und frische Luft hereinzulassen. Ihr Körper hatte nur noch weggewollt, weg von der Leiche, dem Gebäude, dieser verfluchten Stadt. Aber sie musste langfristig denken und wenigstens notdürftig hinter sich aufräumen.
Sie hatte ein Stück von dem ohnehin schon zerfetzten Hemd der Leiche abgerissen, sich ein weiteres Mal gezwungen, ihren Arm unter den starren Körper zu schieben und dort, wo ihr Kopf gelegen hatte, so gründlich wie möglich zu wischen. Ihr eigenes Blut zu beseitigen, hatte sie jedoch aufgeben müssen. Nachdem sich die Körperflüssigkeiten mehrere Stunden lang vermischt hatten, war es unmöglich auszumachen, welches Blut von wem stammte. Sie musste weg, solange ihre Kräfte es noch zuließen.
Als Peggy-Lee das Knirschen von Autoreifen auf dem Kies hörte, zuckte sie zusammen. Sie hechtete hinter den Schuppen und jammerte leise, als sie mit dem Arm auf dem Asphalt aufkam. Sie war am Ende. Aber gleichzeitig war sie auch rasend wütend. Jemand musste für diese Sache bezahlen.
*
»Trostloser geht es ja gar nicht. An einem solchen Ort zu sterben!«
Die Blutspuren waren auf dem gesamten Toilettengang verschmiert, wie eine Schleifspur. Selbst ohne die Projektoren draußen und die Männer von der Spurensicherung in ihren weißen Kitteln hätte Thor M. Dinesen keinen Zweifel gehabt, wo er hinmusste. Das gelbe Klinkerhaus neben dem Bauzaun, zu dem er geleitet worden war, stand etwas abseits. Darin gab es anscheinend nur Toiletten und Duschräume. Die Nacht um sie herum war tiefschwarz, und bisher hatten sie gerade erst die allernötigsten Lichtquellen aufgebaut. Die Umgebung war in ein künstliches Licht getaucht, das alles unwirklich erscheinen ließ. Das Blut aber war real und ließ auf das brutale Geschehen schließen, das hier stattgefunden haben musste.
Thor schob sich am Fotografen der Spurensicherung vorbei. Ein zweiter Blick verriet ihm, dass die braunen Flecken an den Kacheln verschmierter Kot waren. Offenbar gab es mehr als nur eine Erklärung für den massiven Gestank an diesem Ort.
»Ich bin noch nicht fertig.«
Thor blickte zu dem Rechtsmediziner, der auf dem Boden kniete und ihm seinen wulstigen Nacken zuwandte. Er streckte ungeduldig die Hand aus, um zu signalisieren, dass es noch ein paar Minuten dauern würde. Eine Diskussion mit diesem Mann würde wenig
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