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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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Zweck haben, denn er erzählte grundsätzlich nichts, ehe er es selbst für richtig hielt. Und so trat Thor stattdessen einige Schritte näher, um ihm schweigend bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.
    »Pass auf!«, rief der Rechtsmediziner.
    Zu seiner Verärgerung bemerkte Thor, dass er gerade in etwas getreten war, was sich bei näherer Betrachtung als Erbrochenes herausstellte. Er wollte sich gerade darüber beschweren, dass die Kollegen nicht ordentlich abgesperrt hatten. Es machte nicht gerade den besten Eindruck, wenn der leitende Ermittler an einem Tatort herumtrampelte und wichtige Spuren zerstörte. Doch dann fiel ihm auf, dass es sich um frisches Erbrochenes handeln musste. Es konnte nicht von dem Mann am Boden stammen, über den sich der Arzt gerade beugte. Denn für die Erkenntnis, dass dieser Mann schon länger tot war, bedurfte es keiner medizinischen Ausbildung. Thor reckte sich vorsichtig wieder nach vorn, aber der Gang war so schmal, dass er noch immer nichts anderes sehen konnte als die Leiche, die in einer merkwürdig verrenkten Stellung auf dem Boden lag. Also ging er stattdessen nach draußen, wo er gierig die kalte Nachtluft einsog und schließlich drauflosschimpfte: »Wer zum Teufel hat da drinnen gekotzt! So eine Sauerei!«
    Die Beamten, die gerade das Gebiet absperrten, sahen ihn nervös an. Thor wusste, wie gereizt er klang, aber es gab nun mal nichts, was er mehr hasste als warten. Es gab nichts Schlimmeres, als an den Ort eines grausamen Verbrechens zu kommen, und die Situation war noch nicht unter Kontrolle. Alle eilten verwirrt umher und arbeiteten unkoordiniert in alle möglichen Richtungen, weil es noch an dem Überblick fehlte. Er verspürte den plötzlichen Drang, den Menschen um sich herum Befehle zuzubrüllen, und wusste, dass sie es im Grunde auch von ihm erwarteten, doch in diesem Moment hätte das noch keinen Sinn gehabt. Er musste warten, bis die Kollegen von der Mordkommission ankamen.
    »Ein Besoffener hat die Leiche gefunden«, sagte der eine Beamte schließlich. »Er sitzt draußen im Auto, falls Sie mit ihm sprechen wollen.«
    Thor warf einen Blick zurück auf das Toilettengebäude, um sich zu vergewissern, dass der Rechtsmediziner noch immer arbeitete. Ihm wäre durchaus zuzutrauen, dass er sich aus dem Staub machte, ohne zu berichten, was er herausgefunden hatte. Das war tatsächlich schon mal vorgekommen, und Thor hatte bis heute nicht durchschaut, ob lediglich Zerstreutheit oder böse Absicht dahintersteckte. Er folgte dem Beamten, der ihn zu dem Streifenwagen führte.
    26
     
    D as iPhone hatte Peggy-Lee zu einem kleinen Hafen navigiert, der sich am Ende jenes Wegs befand, an dem auch das Lagergebäude lag. Sie wartete schon seit einer Stunde darauf, dass das Auto, das sie zuvor passiert hatte, endlich wieder in Richtung Stadt zurückfuhr. Auf der elektronischen Karte hatte sie erkennen können, dass dies der einzige Weg in die entgegengesetzte Richtung war. Sie musste also das Risiko in Kauf nehmen, so lange in ihrem provisorischen Versteck hinter dem Schuppen auszuharren.
    Damit sie trotz ihrer vielen Verletzungen relativ bequem liegen konnte, streckte sie sich ganz aus. Sie spürte sofort, wie das Adrenalin ihren Körper verließ und ihren Muskeln erlaubte, sich zu entspannen. Die Sonne begann sie zu wärmen, und jetzt, da ihr Puls nicht mehr in den Ohren pochte, hörte sie auch die Vögel zwitschern.
    Peggy-Lee hatte ihr dünnes Wolloberteil stramm um die Wunde am Arm gebunden, damit sie keine deutliche Blutspur hinterließ. Ihre Jacke hatte sie als Kissen unter den Kopf geschoben. Für einen kurzen Moment dachte sie, dass dies nicht einmal der schlechteste Ort zum Verbluten wäre, falls es denn so weit kommen musste. Aber zuerst musste sie noch etwas Wichtiges erledigen.
    Sie hatte es nie bereut, die Armee verlassen zu haben. Obwohl ihr die ganze Geheimniskrämerei bei ihrer neuen Arbeit mitunter auf die Nerven ging, hatte es insgesamt viel mehr Vorteile, sein eigener Boss zu sein. Ihr Stolz darauf, für die amerikanische Armee zu arbeiten, hatte immer mehr nachgelassen. Ihr war aufgegangen, dass ihre besonderen Fähigkeiten nicht in erster Linie der Verteidigung der Demokratie und des Landes dienten, sondern vielmehr dazu, den exklusiven Lebensstil gewisser Menschen aufrechtzuerhalten. Krieg war nichts anderes als Big Business, und so war der Entschluss langsam in ihr gereift – mit jeder internationalen Mission, bei der ihr private Unternehmer und

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