Verlieb dich nie in einen Vargas
müssten.
Neue Wege: Wir bieten Ihrer Familie ein breites Angebot an Langzeitpflegemöglichkeiten.
»Was denkst du, warum die Königin überhaupt so eine Mörderzicke ist?«, fragte Zoe. »Miese Kindheit?
»Wahrscheinlich«, erwiderte ich, doch ich hörte ihr kaum noch zu.
Wie sich herausstellte, war Neue Wege eine Pflegeeinrichtung in Willow Brush, der Stadt, in der Mom jene extra Schichten arbeitete, ungefähr eineinhalb Stunden nördlich von uns. Sie verfügten über medizinisches Personal, einen Gemeinschaftsraum, einen Ballsaal, Schwimmunterricht, Yoga, einen Salon und, am wichtigsten von allem – schließlich war es in Großbuchstaben gedruckt –, über EINE SPEZIELLE STATION FÜR ALZHEIMERPATIENTEN! Und wenn man den Hochglanzfotos Glauben schenken durfte, waren diese Patienten glücklich, gut genährt und extrem umgänglich.
Und so alt und wettergegerbt wie Fossilien.
Zoe schnatterte weiter über die traumatische Vorgeschichte der Königin, während ich jede einzelne zerknitterte Seite durchblätterte und von den Herausforderungen erfuhr, die eine Pflege dieser speziellen Bevölkerungsgruppe bedeutete, von Patienten, die nachts orientierungslos umherirrten, weil sie vergessen hatten, wo sie sich befanden. Die Neue-Wege-Leute waren super ausgestattet, um sie zu managen . Sie verschlossen Türen und Fenster, polsterten die scharfen Kanten, schlossen sie in sicheren Bereichen ein.
Ich knirschte mit den Zähnen. Ich sah Vieh und Pferde vor mir, die hinter einen elektrischen Zaun gepfercht waren, aus einem gemeinsamen Trog fraßen und die Stunden zählten, bis der Schlachter kam.
Ganz zum Schluss entdeckte ich die Nachricht. Eine beig efarbene Karte, in der Mitte gefaltet, steckte hinten in der Umschlagseite.
Handgeschrieben. Als ob sie uns kennen würde.
Liebe Rita,
ich bin so froh, dass wir die Zeit für ein persönliches Gespräch gefunden haben. Ich habe die Broschüre und die Bewerbungsunterlagen beigefügt, um die Du gebeten hast. Bitte zögere nicht, Dich an mich zu wenden, falls Du noch Fragen hast oder gerne weitere Informationen über unsere Einrichtung oder unsere Mitarbeiter hättest.
Du, Ted und Deine Töchter, Ihr seid in dieser schweren Zeit in meinen Gedanken. Ich möchte, dass Du weißt, dass ich für Dich da bin, wenn Du mich brauchst.
Herzlich
Janice McMullen
Ted? Niemand nannte ihn Ted. Er war Papi oder Bär oder in seltenen Fällen Teddy. Und wer war diese Janice-Person? Welches Recht hatte sie, uns in ihre Gedanken aufzunehmen? Sie wusste rein gar nichts über uns. Denn wenn es so gewesen wäre, hätte sie sich in ihrem Brief dafür entschuldigt, uns mit dieser nutzlosen Broschüre zu belästigen. Papi war kein mürrischer Griesgram, dem man sein Essen pürieren musste, und in einem Ballsaal hatte er bisher nur mit Mom getanzt, Tangofiguren, die sie ausschließlich auf Hochzeiten nach ein paar Gläsern Malbec zum Besten gaben.
Schuld sickerte in meinen Magen, machte sich dort breit.
Das Letzte, was ich gewollt hatte, war Mom von Papis Drogeriemarktdebakel zu erzählen, aber wir hatten nach der Diagnose eine Abmachung getroffen. Ausraster, längere Phasen der Orientierungslosigkeit, starke Stimmungsschwankungen – das alles waren Hinweise, die es zu dokumentieren galt. Die Ärzte hatten gesagt, sorgfältige Aufzeichnungen könnten ihnen helfen, den Verlauf der Krankheit nachzuvollziehen und Papis Behandlungsplan entsprechend anzupassen. Aber ich hatte es für reine Augenwischerei gehalten, für etwas, das uns von der Tatsache ablenken sollte, dass überhaupt keine Behandlungsmöglichkeit existierte. Es war, als würde man eine Schatzkarte so verkehrt zeichnen, dass alle Hinweise, Pfeile und Kreuze direkt ins Meer führten, egal wie man sie auch drehte und wendete.
Ich hatte mein Versprechen gehalten und Mom und Mari noch am selben Abend von dem Vorfall in der Drogerie erzählt. Doch nun wurde mir klar, dass sie nach diesen Dingen Ausschau gehalten hatten. Den willkürlichen Ausbrüchen. Dass er sich für eine Arbeit anzog, die er nicht mehr hatte. Dass er zu müde war, um Emilio mit der Harley zu helfen. Es ging überhaupt nicht mehr um die Behandlung. Es war Munition – jedes Falschabbiegen, jeder verwirrte Gesichtsausdruck eine weitere Entschuldigung dafür, ihn ins Heim abzuschieben.
Ich zerriss die Karte und ließ die Fetzen in den Mülleimer fallen. Dann nahm ich mir die Broschüre vor, zerschredderte sie Seite für Seite, bis die alten Leute sich in Staub verwandelt
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