Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
Vom Netzwerk:
der Gegend Einquartierungen die Regel. Doch nicht überall liefen sie so verhältnismäßig friedlich ab wie auf dem Isselshof. Maribel wusste, dass dies auch der Autorität Andrejs zu verdanken war. Die Soldaten, die ihm unterstellt waren, beteten ihn an.
    »Gute Nacht.« Maribels Anspannung wich abgrundtiefer Müdigkeit. Sie wandte sich zum Gehen.
    Doch noch ließ er sie nicht davonkommen. »Erzähl mir von diesem Boris.«
    »Er ist nicht der Rede wert.«
    »Wenn er Russe ist und dein erster Mann war, ist er immer der Rede wert.«
    Spöttisch hob sie die Augenbrauen. »Boris gehört der Vergangenheit an. Vergiss ihn einfach.«
    Sie war nicht darauf gefasst, dass er sie an den Haaren zu sich herumriss. »Ich möchte, dass du dich an Boris erinnerst. Wie sah er aus? Beschreib ihn mir. Er kann dir doch nicht gleichgültig gewesen sein.«
    »Aua, du tust mir weh.«
    Was war bloß los mit ihm? Andrej wirkte nicht mehr gelassen und freundlich, sondern angespannt und fordernd. »Ich verstehe nicht …«
    »Erinnere dich!«
    »Lass mich erst los!«
    »Erzähl mir von ihm!« Er lauerte regelrecht auf ihre Antwort. Ihre Blicke verhakten sich ineinander.
    Maribel spürte, dass Andrej nur Ruhe geben würde, wenn sie ihm vorher von Boris erzählte. »Also gut. Boris war …«
    Maribel schloss die Augen, um sich Boris ins Gedächtnis zurückzurufen. »Er war groß. Jedenfalls größer als ich. Helle Haare. Die Augen waren blau, strahlend blau. Er lächelte viel.« Ihre Stimme gewann an Zärtlichkeit. »Wenn er lächelte, sah man immer so eine kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen.«
    Die Erinnerungen kehrten wie sprudelnde Blasen in ihr Bewusstsein zurück. Plötzlich hallte ihr auch das Lachen, das sie miteinander geteilt hatten, wieder in den Ohren. Sie fühlte die Leidenschaft, die sie für Boris empfand, so intensiv, als stände er neben ihr. Kraftvoll und fordernd.
    In der Dunkelheit verließ Andrej sich auf den Klang ihrer Stimme. »Er fehlt dir.«
    Ich würde alles geben, um noch einmal in seinen Armen zu liegen.
    Unwillig schüttelte sie den Kopf. »Unsinn. Darf ich jetzt schlafen gehen? Oder willst du dein Verhör fortsetzen?«
    »Gute Nacht.« Andrej hatte erfahren, was ihn interessierte. Er ließ sie stehen und verschwand in der Dunkelheit.
    Verblüfft wartete Maribel, ob er noch einmal zu ihr zurückkehren würde. Als die Minuten verstrichen, ohne dass er sich wieder blicken ließ, lief auch sie zurück ins Haus.
    *
    Lisette, das Luder! Erst beschimpfte sie Maribel als Russenliebchen, dann schlief sie selbst mit Andrej.
    Maribel widerstand nur mühsam dem Bedürfnis, sich auf das schlafende Mädchen zu stürzen, um ihm die Augen auszukratzen.

XXVII
    Bum, bum, bum. Im Unterbewusstsein nahm Maribel das dumpfe Schlagen der großen Kirchturmglocke wahr, bevor sie wirklich erwachte. Laut und fordernd schallte es aus dem Dorf zu ihnen herüber. Es war das vereinbarte Zeichen für die Bewohner, die außerhalb des Dorfes lebten, herbeizueilen. Neue Einquartierungen warteten auf Unterbringung.
    Mittlerweile strömten die alliierten Truppen in breiter Front über den Rhein, auf der Jagd nach den verhassten Franzosen. Neben den Kosaken lagerten preußische und dänische, lüneburgische, schwedische und sächsische Truppen in der Umgebung.
    Das Dröhnen der Glocke riss kaum noch ab. Die Bürger stöhnten unter den Belastungen. Hatten sie zuvor ihre französischen Besatzer mit Geld und Naturalien aushalten müssen, widerfuhr ihnen nun das gleiche Schicksal mit ihren Befreiern.
    Auch dieses Mal fuhren überall im Haus die Menschen von ihrem Lager auf. Während zwei der Knechte wie Friedrich auf die Pferde stiegen, um die neue Einquartierung abzuholen, bereitete der Rest vom Gesinde das Quartier selbst vor. Auch Grete nahm mit verweinten Augen ihren Platz in der Küche wieder ein.
    »Dass der Russe seine Stiefel hat, muss ja nicht bedeuten, dass mein Michel tot ist«, flüsterte sie heiser. Sie hatte geweint, bis die Tränen ausblieben. Nun klammerte sie sich an jeden Strohhalm, der sich ihr bot.
    Mitfühlend legte Maribel ihr die Hand auf die Schulter. »Vielleicht hat dein Michel die Schuhe nur mit dem Soldaten getauscht.« Es kostete sie Mühe, sich ihre Skepsis nicht anmerken zu lassen. Doch der Mensch existierte, solange es Hoffnung gab. Sie sah keinen Grund, Grete die Hoffnung zu nehmen.
    »Mein Michel ist ein guter Mann. Er ist streng, aber auch gerecht. Solange er hier auf dem Hof die Zügel in der Hand hielt,

Weitere Kostenlose Bücher